Statuten Stift Finn

… so sind beyderseits, Stifter Sr. Excellenz, dem Herrn Generalleutnant und Ritter Johann Diedrich von Rennenkampff und der Stifterinn dessen Gemahlinn Excellenz, die Frau Generalleutnantinn von Rennenkampff, geb. Jacoba Charlotta Baronne von Tiesenhausen, darinn einig, sothanes in Wierland und St. Jacobi Kirchspiel gelegene, selbsterkaufte und wohlerworbene Gut Finn mit allen dessen Laendern Bauren und Erbleuten, und was noch dazu durch Urtheil und Recht gewonnen und dazu gebracht werden kann, zu einer milden Stiftung, und zwar zu einem dem Adel des Herzogthums Ehstland zu benutzenden Fraeuleinstift zu widmen und abzutreten; …

 


Die Absicht dieser auf ewige Zeiten fundirten Stiftung
ist zweyfach:

erstlich jungen und unverheiratheten Frauenzimmern adelichen Standes, sie moegen Waysen seyn oder Aeltern haben, deren eigenes Vermoegen zu einer ihrem Stande gemaessen Erziehung und Lebensart nicht hinreicht, eine solche Erziehung und Lebensart unentgeltlich in dieser Stiftung zu verschaffen;

 

zweytens, ueberhaupt einem jeden unverheiratheten Frauenzimmer adelichen Standes, welches die Vortheile und Bequemlichkeiten einer solchen Stiftung und eines nicht geraeuschigen Lebens zu geniessen wuenscht, diese Vortheile gegen eine maessige, an das Stift zu zahlende Summe zu gewaehren.

Da, zur Erhaltung des Stifts, fuer gute Oeconomie, fuer die Aufrechterhaltung seiner Gerechtsame und seiner innern guten Ordnung gesorgt werden muss; so ist von dem Oeconomen, den Herren Stiftsvaetern oder Curatoren, der Fraeulein Priorinn, den Stiftsfraeulein, den Lehrmeisterinnen u.s.w. in folgender Ordnung zu handeln:

Statuten
des evangelisch- weltlichen adelichen Fräuleinstifts,
Johann Diedrichstein zu Finn genannt,
in Ehstland,
gestiftet von

Johann Diedrich von Rennenkampff,
Generallieutenant im Dienste des Vaterlandes, auch verschiedener hohen Orden Ritter
und Dessen Gemahlinn,
Jacoba Charlotta von Rennenkampff,
gebohrne Baronne von Tiesenhausen;
unter der Regierungszeit
der Großen Catharina der IIten
Kaiserinn von Rußland.

Reval gedruckt mit Lindforsischen Schriften, 1784

Statuten Finn 1784, S. 1

Den Grund der Stiftung giebt der zwischen dem Stifter und der Stifterinn den 23ten Januar 1775 errichtete und den 24. Februar selbigen Jahres oberrichterlich bestaetigte Transact, dessen 4ter § eigentlich hieher gehoert und in folgenden Worten abgefasst ist.

§. 4. Das in Wierland und St. Jacobi Kirchspiel gelegene und von Sr. Excellenz, dem Herrn Generallieutenant und Ritter von Rennenkampff selbsterkaufte und wohlerworbene Gut Finn, als zu dessen Kaufschilling die Deroselben mehrwohlgenannten Gemahlinn Excellenz aus Deroselben erstern Gemahls, weiland Herrn Generalmajors Baron Gustav Jean d`Albeõyls Verlassenschafft zugefallene Fraeuliche Gerechtigkeit, welche nach weltkuendigen Rechten ad lucrum matrimoniale et bona mere acquifira uxoris gehoeret, verwendet worden, anbelangend, so sind beyderseits respective Ehegatten darinn einig, sothanes Gut Finn mit allen dessen ad- und dependentien an Laendern Bauren und Erbleuten, und was noch dazu praetendirt und durch Urtheil und Recht gewonnen und dazu gebracht werden kann, zu einer milden Stiftung, und zwar zu einem dem Adel des Herzogthums Ehstland zu benutzenden Fraeuleinstift zu widmen, abzutreten und einzuraeumen; gleich dann sowol Sr. Excellenz, der Herr Generallieutenant und Ritter Johann Diedrich von Rennenkampff, als auch dessen Gemahlinn Excellenz, die Frau Generallieutenantinn von Rennenkampff, geb. Jacoba Charlotta Baronne von Tiesenhausen, schon genanntes Gut Finn mit allen und jeglichen dessen Zubehoerungen und Praetensionen, zu einem adelichen Fraeuleinstift des Herzogthums Ehstland, wozu Dieselben die Institutiones und dabey noethige Anordnungen und Leges zu verfassen und kuenftig bekannt zu machen sich vorbehalten, widmen und einsetzen; und entweder noch zu Ihrer beyderseitigen Lebzeit, oder auch nach dem Ableben des einen, oder der andern von Ihnen, und wie es Denenselben gefaellig seyn wird, hiermit und Kraft dieses abzutreten und zu der bestimmten Absicht einzuraeumen sich gegeneinander verbinden und aus Deroselben uebrigen Vermoegen gaenzlich ausschliessen.

Statuten Finn 1784, S. 2

Einleitung

Die Absicht dieser auf ewige Zeiten fundirten Stiftung ist zweyfach; erstlich jungen und unverheiratheten Frauenzimmern adelichen Standes, sie moegen Waysen seyn oder Aeltern haben, deren eigenes Vermoegen zu einer ihrem Stande gemaessen Erziehung und Lebensart nicht hinreicht, eine solche Erziehung und Lebensart unentgeltlich in dieser Stiftung zu verschaffen; zweytens, ueberhaupt einem jeden unverheiratheten Frauenzimmer adelichen Standes, welches die Vortheile und Bequemlichkeiten einer solchen Stiftung und eines nicht geraeuschigen Lebens zu geniessen wuenscht, diese Vortheile gegen eine maessige, an das Stift zu zahlende Summe zu gewaehren.

Da, zur Erhaltung des Stifts, fuer gute Oeconomie, fuer die Aufrechterhaltung seiner Gerechtsame und seiner innern guten Ordnung gesorgt werden muss; so ist von dem Oeconomen, den Herren Stiftsvaetern oder Curatoren, der Fraeulein Priorinn, den Stiftsfraeulein, den Lehrmeisterinnen u.s.w. in folgender Ordnung zu handeln.
1) Capitel von Fuehrung der Oeconomie.
2) Capitel von den Stiftstoechtern.
3) Capitel von der Fraeulein Priorinn.
4) Capitel von den Herren Stiftsvaetern.
5) Capitel von den Stiftsfraeulein oder Pensionairinnen.
6) Capitel von den Lehrmeisterinnen, dem Lehrer, auch dem Arzte des Stiftes.
7) Capitel von den Bedienten und Handwerkern, die zum Stifte gehoeren.
8) Capitel von der Stiftsbibliothek.

Statuten Finn 1784, S. 3
Capitel I.

Von dem Oeconomen, seinen Eigenschaften, Pflichten, und was er zu geniessen hat.
§ I. Wer zum Oeconomen zu erwaehlen ist, und was er fuer seine Bemuehung geniesst.

Da die Regierung und gute Fuehrung der Wirthschaft, zur Erhaltung des Stifts in seinem Wesen, alles hergeben muss; so ist davon vor allen Dingen zuerst zu handeln. Daher bemuehen sich die Herren Stiftsvaeter
A) einen Edelmann zum Oeconomen zu erhalten, der den Ruf eines guten, fleissigen und verstaendigen Landwirths hat, der eines bekannten anstaendigen Wandels, nicht zu jung und verheirathet ist. Sie uebergeben ihm die ganze Administration des Gutes Finn, fuer den Zehenten von allen Gefaellen und Einkuenften des Gutes; er muss aber den zehenten Theil aller publiken Abgaben mit tragen. Dagegen braucht er zu der Aussaat auf dem Gute nichts beyzutragen, weil er verschiedene Besorgungen und Aufsicht fuer das Stift haben muss. Die Wohnung hat er in dem Hause des Oeconomen, und kann zu seiner nothwendigen Bedienung Leute aus dem Gebiete nehmen, die er selbst bekoestigt und lohnt.
B) Wenn der Oeconom ein Edelmann und wohldenkend ist; so wird er auch aus dem Betracht sein moeglichstes zum Bessten des Stifts thun, damit selbiges dadurch in den Stand kommt, einstens auch seinen Nachkoemlingen, wenn sie arm sind, ihr Auskommen zu verschaffen, indem das Stift zum Bessten des Ehstlaendischen Adels errichtet ist. Die Protocolle des Stifts werden das Lob des guten Oeconomen auf die Nachwelt bringen, dass man sich seiner Nachkommenschaft erinnere; denn ein solcher hat wirklich dem Lande mit Nutzen gedient.
C) Es kann auch ein Stiftsvater Oeconom seyn, wenn er es seinen Umstaenden angemessen findet. Aber dann wuerde er in allem, was die Wirthschaft betrifft, von seinem Herrn Collegen abhaengig werden und in dem Hause des Oeconomen bestaendig wohnen muessen.
D) Ist kein tuechtiges Subject aus dem Adel ausfindig zu machen; so kann auch ein Unadelicher von gehoerigen guten Eigenschaften, als Zehentner angenommen werden.
E) Findet sich keiner, der zum Zehenten Lust bezeigte, oder dazu zu nehmen waere; so wird fuer guten Lohn und Deputat ein geschickter, treuer, fleissiger, nuechterner, verehlichter Disponent als Oeconom angenommen, der die schriftlich ihm vor-

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gelegten Pflichten eigenhaendig unterschreiben muss.
F) Eine Abschrift der Statuten muessen die Oeconomen haben. 

§ 2. Von den Pflichten des Oeconomen.

A) Er muss die Herren Stiftsvaeter, als wenn sie Herren des Gutes waeren, betrachten und sich nach ihren Anweisungen richten. Eben so muss er die Fraeulein Priorinn als Frau vom Gute ansehen. Er wird daher allezeit willfaehrig seyn, wenn sie seines Beystandes oder Raths benoethigt ist, weil die Herren Curatoren nicht immer gegenwaertig sind. Die Bauren des Gutes und die Bedienten des Stifts, die ihm untergeben werden, muessen ihn ehren und ihm gehorchen.               
B) Er ist unablaessich bemueht, die Revenueen vom Felde und dem Viehgarten zu vermehren, doch ohne Ruin der Bauren, deren Conservation eine seiner wichtigsten Obliegenheiten ist. Er fuehrt eine genaue Rechnung ueber alle Gefaelle und Einnahmen des Gutes; sieht so viel moeglich dahin, dass die Ausgaben nicht ohne Noth gross werden, und berechnet sie genau und gewissenhaft. Er haelt alle Rechnungen und was in Saldo ist auf die Zeit voellig fertig, die Ihm die Herren Curatoren aufgeben, oder wenn sie die halbjaehrigeVisitation halten und den ganzen Vorrath uebersehen wollen. Er meldet ihnen dabey, was ihre Beaugenscheinigung oder Beurtheilung zum Bessten der Oeconomie erfordert, oder wenn irgendwo Schaden oder Eindrang geschehen ist und beweist sich demnach als einen auf die Gerechtsame und Graenzen des Gutes aufmerksamen Wirth, damit Vernachlaessigungen in der Zukunft keine unnoethigen Kosten verursachen.
C) Er besorgt, dass alle  publiken Abgaben zur erforderlichen Zeit richtig abgeliefert und alle Praestanda praestirt werden.
D) Er empfaengt nach einem Inventario alles, was unter seine Haende koemmt, es moegen wirthschaftliche oder Stiftssachen seyn, wornach er sie auch abzugeben hat.         
E) Er hat die Aufsicht ueber Pferde, Wagen, alle Equipagen und Geschirr des Stifts, und besorgt alles, was dabey noethig ist. Sind aber neue Stuecke anzuschaffen; so meldet er solches den Herren Curatoren, und erwartet noethige Verfuegung von ihnen.        
F) Er besorgt, dass das Stiftsgebaeude, so wie die uebrigen Gebaeude des Gutes allezeit in gutem, baulichem Stande sich befinden.
G) Die Producte des Gutes veraeussert er nach vorheriger Anfrage bey den Herren Stiftsvaetern, fuer welchen Preis sie etwa loszuschlagen, und nach welchem Orte sie zu verfuehren waeren. Er liefert der Fraeulein Priorinn alle Naturalien, deren sie zur Fuehrung der Wirth-

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schaft bedarf und die sie fordert. Und alles, was nicht zur Consumtion nothwendig ist, wird versilbert.  
H) Das eingekommene Geld giebt er, nachdem die Herren Curatoren es angewiesen haben, entweder an die Fraeulein Priorinn und Schatzmeisterinn ab, oder bezahlt die Posten, die ihm aufgegeben werden, laesst sich ueber alles quitiren, um seine Rechnungen zu verificiren, und haelt genaue Annotationes.
I) Da indessen hauptsaechlich darauf zu sehen ist, dass die Ausgaben nie die Einnahmen des Stifts uebersteigen, sondern ein jaehrlicher hinlaenglicher Ueberschuss an Geld, auch Saat- und Brodkorn nachbleibe, um bey etwa vorfallenden Ungluecksfaellen, als Misswachs, Vieh- und Pferdesterben, Brandschaden u.s.w. das Capital des Stifts nicht angreiffen zu muessen; so ist der Oeconom gehalten, wenn der Vorrath an Geld oder Korn abnimmt, so, dass man sparsam damit umgehen muss, solches der Fraeulein Priorinn zeitig anzuzeigen, damit diese sich darnach richten und selbst Rath zu schaffen mit den Herren Stiftsvaetern correspondiren koenne, wenn sie nicht gegenwaertig sind.
K) Er besorgt auch die Ablohnung der Handwerker und Bedienten, wenn er dazu angewiesen wird.        
L) Da Finn nicht reichlich Holz und Heu hat, so hat der Oeconom auf die vernuenftigste Ersparniss zu sinnen, auch sehr darauf zu sehen, dass das jaehrliche Abtreiben (Abhauen) des dazu bestimmten Theils des Waldes, nach der Art, wie es von dem seligen Stifter  eingefuehrt ist, geschehe. Er muss besonders solche Massregeln ergreifen, wodurch das junge anwachsende Holz, in den Gehaeuen vor allem Vieh gesichert wachse, bis es so stark angeschossen ist, dass es von selbigem nicht mehr verderbet werden kann; sonst wuerde, da so viele Oefen zu erheitzen sind, ein unersetzlicher Schade fuer die Zukunft erfolgen. Des Heumangels wegen, muss damit aufs wirthschaftlichste beym Fuettern umgegangen werden, und muss der Oeconom selbst so wenige Pferde halten, als moeglich.     
M) Wenn ein Oeconom bey Uebernahme der Administration zwar versprochen hat, dem Stifte ein guter und nuetzlicher Wirth zu seyn, so wie die ihm bekannten Statuten es erfordern, er aber dieses Versprechen nicht erfuellt und dem Stifte zum Nachtheil und Ruin wirthschaftet; so muss er sichs gefallen lassen, wenn die Vorstellungen und Ermahnungen der Herren Stiftsvaeter keine Besserung hervorgebracht, dass sie ihm ohne Wiederrede die Disposition nehmen, und falls er aus Nachlaessigkeit oder Muthwillen dem Stift geschadet haette, die Ersetzung von ihm fordern, als worueber sie in dem Contracte mit ihm bestimmtere Abmachung treffen werden.

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§ 3. Was zu beobachten ist, wenn ein Oeconom abgehen will, krank wird oder stirbt.

a) Wenn der Oeconom die Disposition des Gutes nicht laenger fuehren will; so ist er gehalten, den Herren Stiftsvaetern solches ein halbes Jahr (bey einem ausserordentlichen Vorfall wenigstens ein Vierteljahr) vorher bekannt zu machen, damit diese hinlaenglich Zeit gewinnen, die Stelle mit einem andern geschickten Subjecte zu besetzen.              
b) Wird der Oeconom gefaehrlich krank; so laesst die Frl. Priorinn, alles bey ihm vorraethige Geld von der Frl. Schatzmeisterin in Empfang nehmen, und benachrichtiget die Stiftsvaeter davon.   
c) Stirbt er gar, so benachrichtigt die Frl. Priorinn die Herren Curatoren sogleich davon aufs eilfertigste, und laesst alles Korn, Brandwein, Geld und Effecten versiegeln, wenn in seiner Familie keine solche Personen sind, denen man es anvertrauen kann. Wenigstens einer der Herren Stiftsvaeter wird doch Zeit finden, ohne Saeumniss nach dem Stift zu eilen, alles in Sicherheit zu bringen, was unter des verstorbenen Haenden war, und die Veranstaltungen fuer die Zeit der Vacanz zu machen.

Capitel II.

Von den Stiftstoechtern, den Requisiten einer aufzunehmenden Stiftstochter, ihrer Anzahl, Aufnahme ins Stift, ihren Beschaeftigungen, Austritt aus dem Stifte u.s.w.

§ I. Von den Requisiten einer Stiftstochter.

a) Sie muss aus einer adelichen Familie seyn, die zu der Ehstlaendischen Bruederschaft gehoert.           
b) In Ansehung ihres Vermoegens muss sie dieser Anstalt beduerftig seyn, das heisst, weniger als Tausend Rubel eigenes Vermoegen haben. Sollte Einer ein Vermoegen von etwa Tausend Rubeln in der Zeit zufallen, da sie schon Stiftstochter ist; so muss sie die halben Zinsen davon jaehrlich dem Stifte geben, wenn sie Stiftstochter bleiben will. Faellt aber Einer ein Vermoegen zu, dass sie drey Tausend Rubel reich wird; so macht sie einer Armen Platz, und kann nicht mehr Stiftstochter seyn. Will sie als Pensionairinn im Stifte bleiben und fuer ihren Unterhalt, Kleidung und Bedienung jaehrlich Hundert und Achtzig Rubel bezahlen; so behaelt sie alle Vorrechte einer Stiftstochter, zu allen Wahlen und dergl. gezogen zu wer-

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den, weil sie schon Stiftstochter gewesen ist. Will sie aber nicht im Stifte bleiben, so nimmt sie alles das Ihrige mit sich.     
c) Juenger als in dem zwoelften Jahre des Alters kann keine in das Stift aufgenommen werden.

d) Der Evangelischlutherischen Religion muss sie zugethan seyn. e) Sie muss von allen boesartigen Krankheiten und anstoessigen Gebrechen des Koerpers, auch Bloedsinnigkeit des Verstandes befreyt seyn, imgleichen die Kinderblattern gehabt haben.    
f) Sie muss von anstaendigen Sitten und gutem Rufe seyn.

§ 2. Von der Anzahl der Stiftstoechter.

a) Die Anzahl der Stiftstoechter, die unentgeltlich aufgenommen werden, ist nach den itzigen Umstaenden des Stifts auf zehn bestimmt. Naemlich eine Fraeulein Priorinn und neun Stiftstoechter. Zu diesen koemmt noch die Stiftstochter aus dem Hause Toll, fuer welche ihre Stifter ein Capital von dreytausend Rubeln zu ewigen Zeiten in die Ritter- und Landcasse auf Zinsen gegeben hat, welche Zinsen kuenftig die Herren Stiftsvaeter jaehrlich am I sten Maerz daselbst zu heben haben. Daher die Stiftstochter Toll den andern in allem gleich gehalten und geachtet wird. Und wenn von Stiftstoechtern die Rede ist; wird sie allemal mit verstanden. (Auch wenn nach den Verfuegungen des Stifters mehrere ein vollkommenes Gehalt erhalten; so haben sie gleiche Rechte zu geniessen).          
b) Wenn in kuenftigen Zeiten das Vermoegen des Stifts durch mehrere Revenueen, milde Stiftungen und angewachsene Zinsen so gross geworden ist, dass Eine Stiftstochter mehr unterhalten werden kann; so wird die Zahl auch gleich mit Einer vermehret, um diese Stiftung gemeinnuetziger zu machen.  
c) Auch wenn sich aus dem Ehstlaendischen Adel mehrere entschliessen sollten, aehnliche Stiftungen wie die Tollische zu machen; so sind solche als mit gewissem Gehalt versehene Stiftstoechter aufzunehmen, doch so, dass noch immer fuer arme Fraeulein der Rennenkampfischen  und Tiesenhausenschen Familie einige Plaetze zur Aufnahme uebrig bleiben.     

§ 3. Von der Aufnahme der Stiftstoechter       

a) Die ersten Stiftstoechter werden nach dem Wohlgefallen der Stifter ernannt, auch etwa noch einige Fraeulein zur Expectanz bestimmt werden. Wenn aber diese placirt worden sind;  so lassen die Herren Stiftsvaeter zwey Monate vor dem anzusetzenden Termin (auf eine Art, die ihnen die bequemste scheint) es im Lande bekannt werden, dass die armen Fraeulein, welche

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die § 1. bestimmten Requisita, auch kein Vermoegen von 1000 Rubel besitzen, und sich zur Anwartschaft melden wollen, an dem von ihnen bestimmten Tage, zur fruehen Tageszeit, zum Losen und Einschreiben sich in dem Stifte einfinden moegen.          
b) Bey dem Losen wird folgendes beobachtet: wenn etwa 6 oder 8 Fraeulein zur Anwartschaft zu Stiftstoechtern erwaehlt werden sollen; so nimmt man Ruecksicht auf die Rennenkampffsche und Tiesenhausensche Familie, die mit den Stiftern in Verwandschaft stehen. Sind aus ihnen viele arme Fraeulein gegenwaertig; so kann bis zur Haelfte der Zahl der zu erwaehlenden aus diesen Familien genommen werden. Sind ihrer nicht gar viele, so wird bis ein Drittel oder weniger genommen. (Ist nur Eine da, so ist sie ohne Losen gewaehlt.) Diese Losen unter sich, welche die Vorsehung dieses Mahl zur Anwartschaft bestimmt hat, und diejenigen; welche dazu kommen, losen hernach mit denen aus andern Familien um die Anciennitaet(Reihenfolge), wovon unten gemeldet wird. Man richtet es, wenn es seyn kann, so ein, dass wenn das letzte Mahl Ein Frl. Tiesenhausen mehr zur Anwartschaft gekommen ist, dieses Mahl Eins von Rennenkampff mehr dazu gelange; um solchergestalt fuer allemahl die gleiche Theilnehmung zu beobachten.         
c) Melden  sich aus diesen beyden Familien keine; so werden ohne Unterschied gleich alle, die sich gemeldet haben, zugelassen.          
d) Das Losen geschiehet allemahl im Betsaale, wo auch alle Wahlen geschehen. Und man verfaehrt, alle Cabalen (Raenke) zu vermeiden, also: Soviel Fraeulein sich gemeldet, soviel Zettel werden von gleicher Groesse von weissem Papier geschnitten, und auf so viele von ihnen wird das Zeichen TR geschrieben, als erwaehlt werden sollen. Die uebrigen bleiben weiss. Alle werden gleich zusammen gerollt, in einen Hut gethan, zugedeckt und wohl durcheinandergemischt oder geschuettelt. Dann nimmt ein Fraeulein nach dem andern, so wie sie in dem Creise um den, der die Loose haelt, stehen, einen Zettel heraus. Nachdem alle Zettel heraus gekommen sind, werden sie eroeffnet; und diejenigen Personen, welche bezeichnete Lose erhalten haben, kommen zum neuen Losen, wie sie im Alterthum einander folgen sollen, um in die offenwerdenden Stiftstoechterstellen einzutreten. Dieses beobachtet man sowol, wenn die verwandten Fraeulein, als auch wenn die andern losen.          
e) Darauf werden die Namen der Fraeulein, die bezeichnete Lose gezogen haben, auf Zettel geschrieben, und es wird mit selbigen, wie vorher verfahren, nur mit dem Unterschiede, dass itzt eine uninteressirte Person die Lose zieht. Eher wird kein 2tes Los hervorgezogen, bis man den Namen, welcher auf dem vorhergehenden stand, in das Protocoll An-

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wartschaft angeschriebenen, welches zu dem Ende auf dem Tische liegt, eingezeichnet hat. Wenn dieses alles geschehen ist; wuenscht man den Neuerwaehlten Glueck, und die ganze Gesellschaft geht zur Tafel.
f) Zu einem solchen Losen zur Anwartschaft koennen auch sehr junge Fraeulein zugelassen werden; oder wenn wichtiger Ursachen wegen diejenigen nicht gegenwaertig seyn koennen, welche aufgenommen zu seyn wuenschen; so koennen sie durch einen Verwandten fuer sich losen lassen. Denn bis zu der Zeit, dass sie zur Aufnahme ins Stift kommen, koennen die jungen schon das 12te Jahr erreicht haben. Und traefe es etwa einmahl, dass ein zu junges Fraeulein das Recht des Eintritts erhielte; so geht sie diesesmahl die Tour vorbey.    
g) Die zur Anwartschaft gekommenen Fraeulein schaffen sich Abschriften der Statuten an, damit sie schon ausser dem Stifte mit selbigen und den Sitten des Stifts bekannt werden und bey ihrer Aufnahme keine Neulinge mehr sind.
h) Sollte ein in der Anwartschaft stehendes Fraeulein sterben; so melden die Verwandten es der Fraeulein Priorinn, damit man davon im Stifte, mit welchem die Verstorbene schon in einiger Verbindung gestanden hat, benachrichtiget sey. Und man wird sie im Stifte acht Tage betrauren.            
i) Wenn eine Stiftstochterstelle offen geworden ist; so ladet einer der Herren Curatoren das in der Anwartschaft stehende Fraeulein, welches das naechste Recht zum Eintritt nach dem Alterthum hat, zu einem bestimmten Tage ein, als Stiftstochter aufgenommen zu werden. An diesem Tage begeben sich vormittags die Herren Stiftsvaeter ins Stift, und die saemtlichen Stiftsfraeulein versammeln sich im Ordensanzuge im Sprachzimmer. Die Fraeulein Novice erscheint in dem ihr vorher zugestellten Ordenshabit, von Aeltern oder Verwandten begleitet, und wird in den Saal eingefuehrt. Einer der Hrn. Curatoren fragt erst die Fraeulein Novice auf ihr Gewissen, und eben so auch ihre Begleiter, ob sie kein Vermoegen von 1000 Rubeln habe, mit der Warnung, dass, wenn es kuenftig bekannt wuerde, dass sie mit Unrecht einer Armen den Platz genommen, sie als Pensionairinn dem Stifte bezahlen muesse. Wenn er die Antwort erhalten hat, dass sie es nicht habe; so wird er in einer kurzen Rede von der Absicht, der Einrichtung, den Statuten des Stifts, auch den Pflichten einer Stiftstochter sprechen. Er wird die Fraeulein Novice zu einer bestaendigen Beobachtung derselben, besonders aber zu einer wahren Froemmigkeit, Bescheidenheit, und einem anstaendigen Betragen, zu unverbruechlicher Folgsamkeit und Gehorsam gegen die Fraeulein Priorinn, zur Liebe und Freundschaft gegen ihre Conventualinnen ermahnen, und die  Versicherung und das Versprechen, diesem allen nachzuleben, durch einen Handschlag von

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der Fraeulein Novice empfangen.           
Darauf fuehrt er sie zur Fraeulein Priorinn, welcher sie dasselbe Versprechen durch einen Handkuss wiederhohlt. Endlich empfaengt sie jede Stiftsfraeulein mit einem schwesterlichen Kuss. Hierauf wird ihr Tauf- und Familienname, Alter, Tag der Aufnahme u.s.w. in das auf dem Tische liegende Protocoll eingetragen. Dann empfaengt sie die Glueckwuensche von den Anwesenden, und wird von der Fraeulein Priorinn, in Begleitung der uebrigen Fraeulein, in ihr Zimmer eingefuehrt.                
k) Freunde oder Begleiter der Frl. Novice, die Hrn. Curatoren, und wer sich sonst von Stande bey dieser Feyerlichkeit befindet, werden zur Mittagsmahlzeit behalten, wobey die Frl. Novice fuer dieses Mahl die naechste Stelle bey der Fraeulein Priorinn erhaelt.

§ 4. Von dem, was eine Stifstochter zu geniessen hat.            
Sie erhaelt:             
a) Freye Wohnung, so, dass allezeit zwey Fraeulein ein besonderes eigenes Zimmer bekommen, worinn jede ihr Bett und eine Commode, beyde gemeinschaftlich 1 Tisch, 4 Stuehle und 1 Spiegel haben.     
b) Die freye Bekoestigung an der Stiftstafel. Wein wird nur bey festlichen Gelegenheiten gegeben. Kranke bekommen ihn, so oft es noetig ist.  
c) Alle Kleidungsstuecke und Waesche frey, in der Stiftstracht.             
d) Freye Aufwartung, so, dass allezeit zwey Fraeulein Eine Magd zur Bedienung haben, welche vom Stift unterhalten und gelohnt wird.
e) Monatlich bekommt jede einen halben Rubel Nadelgeld, oder sechs Rubel jaehrlich, um kleine Beduerfnisse zu bestreiten.               
f) Freyen Unterricht bey den Lehrmeisterinnen und dem Lehrer, welchen auch die Erwachsenen benutzen koennen, und nicht die Minderjaehrigen allein.
g) Wenn sie krank sind, erhalten sie freye Medicin und Bedienung vom Stiftsarzt.

§ 5. Von dem, wozu die Fraeulein ueberhaupt, und besonders die Fraeulein Novice hauptsaechlich anzufuehren, und worinne sie zu unterweisen sind.          
a) Vornehmlich muessen die Stiftstoechter sich davon einen lebhaften Eindruck machen, dass eine besondere Vorsehung Gottes die Stifter solcher Anstalten dazu erweckt habe, fuer sie als arm geborne Kinder, die keine Aussicht zu einem bequemen Leben hatten, dergestalt zu sorgen, dass sie anstaendig und gut leben koennen. Daher muessen sie aus Dankbarkeit gegen Gott, und um den Absichten der Stifter zu entsprechen, sich mehr als andere fuer verbunden halten, in Tugend, Sittsamkeit, Fleiss und Anstaendigkeit sich hervorzuthun.

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b) Auf Reinlichkeit und Ordnung muessen sie unablaessig halten.           
c) Sie muessen sich als Schwestern ansehen und lieben, auch daher einander alle Liebesdienste erweisen, so oft es noethig ist. Denn da hier weder der  Rang der Aeltern, noch irgend ein anderer Zufall einer den Vortritt vor der andern geben kann, das Alter ausgenommen; so bleibt nur das einzige Mittel zum Vorzug uebrig, sich durch Vervollkommnung und Ausbildung der Sitten und Talente hervorzuthun. Und wenn sie alle nach moeglicher Vollkommenheit streben; so haben sie auch Ursache, sich zu lieben.          
d) Da zu vermuthen ist, dass in dem Laufe der Zeiten verschiedene sehr alte Fraeulein in dem Stifte seyn moegen, unter denen einige so schwach werden koennen, wie Kinder; so ist noethig, in Zeiten alle darinne zu unterrichten, dass sie die Achtung fuer Personen, die ehrwuerdig gewesen sind und ohne ihr Verschulden die Seelenkraefte verloren haben, nie vergessen muessen.           
Von jungen Leuten wird  mehrentheils aus Leichtsinn und aus Mangel an Ueberlegung hiewieder verstossen, und die wenigsten werden es aus einem boesen Herzen thun. Daher muss man es  ihnen angewoehnen, dass sie es als Pflicht, ja als sich selbst nuetzlich ansehen,  das Alter zu ehren. Denn auch sie koennen eben so alt werden und in eben solche Umstaende gerathen. Das Alter ehren ist also in dem Stifte eben so nothwendig, als die wechselseitige Liebe aller Conventualinnen.                
e) Da aber die Verschiedenheit der Temperamente oft die Ursache ist, dass sich auch die bessten Menschen nicht alle in gleichem Grade lieben koennen; so ist erlaubt, dass die Stiftstoechter ihre Zellengesellschafterinnen waehlen koennen, weil je zwey in einer Zelle zusammen sind. Sollte diese erste Wahl nicht recht gerathen seyn; so koennen  diejenigen, welche eine Veraenderung wuenschen, ihre Zellen mit  anderen vertauschen, doch nur mit Vorwissen der Fraeulein Priorinn, ohne deren Erlaubniss solches nicht geschehen kann.            
Hauptsaechlich wird diese Erlaubniss darum gegeben, weil eine auf gewisse Art Ehre und Schande mit ihrer Zellengesellschafterinn theilt. Daher diejenige, die nur immer ihrem Kopfe folgen und keiner Gesellschafterinn Zureden annehmen wollte, die ueberhaupt sich unvertraeglich, oder so unartig auffuehren wuerde, dass keine mit ihr zusammen bleiben kann, Gefahr liefe, aus der Stiftung ausgeschlossen zu werden. Denn in diesem Stifte muss Liebe und Vertraeglichkeit herrschen.            
f) Da, wie erwaehnt, es einer nicht gleichgueltig sey kann, wenn ihre Zellengesellschafterinn etwas unanstaendiges vornimmt; so ist es Pflicht, ihr mit aller Liebe vorzustellen, dass sie sich ihr Verderben bereite, wenn sie sich nicht aendert. Will sie aber auf das Zureden nicht achten; so muß es der Fraeulein Priorinn gemeldet

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werden, damit diese ihre Massregeln darnach nehme. Und es ist dieses fuer keine Verlaeumdung auszulegen, weil man es zur Rettung seiner eigenen Ehre thun muss. Denn wenn die Ausschweifung einer Stiftstochter so weit geht, dass sie ausgestossen werden muss, und ihre Gesellschafterinn haette der Fraeulein Priorinn nicht gemeldet, was sie gewusst; so kaeme sie uebel an.   
g) Unerwachsene werden im Stift auch unter den Stiftstoechtern seyn. Daher hat diejenige, welche eine solche jugendliche Gesellschafterinn hat, zur Pflicht, sich in allem als eine gute Mutter gegen sie zu betragen; sie kann in dem Tone der Mutter mit ihr reden, und ihr zureden, aber sie nicht ohne Vorwissen der Frl. Priorinn oder anderer Vorgesetzten strafen.         
h) Sehr oft muessen die erwachsenen Stiftstoechter die jugendlichen daran erinnern, und es auch selbst nie vergessen, dass, da alle Beduerffnisse ihnen aus dem Stifte gegeben werden, es ihre Pflicht sey, sowol ihre Kleider, als was sonst zu ihrem Gebrauch gegeben ist, besstens zu schonen, damit es so lang als moeglich dauren koenne, und sie dadurch der Stiftung die Ausgaben ersparen helfen. Denn so unbetraechtlich es auch scheint; so macht es doch mit der Zeit, auf sie alle genommen, so viel aus, dass die Stiftungswohlthat dadurch in der Zukunft auf mehrere arme Kinder ausgedehnt werden kann. Jeder gut denkenden Seele muss dieses ein Reiz seyn, nach ihrer Art beyzutragen, dass kuenftig durch sie ein huelfloses Kind es auch so gut haben koenne, wie sie es itzt hat.               
Wenn aber eine oder die andere durch alles Zureden zu besserer Schonung ihrer Kleider u.s.w. nicht zu bringen ist, auch die Verweise der Fraeulein Priorinn, wenn sie wieder eher als andere etwas zu erbitten koemmt, nicht anschlagen (denn alles, was eine Stiftstochter braucht, erbittet sie von der Priorinn); so verliert sie zum Bessten des Stifts ihr bestimmtes Nadelgeld, bis sie sich bessert. Diejenige, welche man noch fuer ein Kind haelt, bekoemmt ohnedem kein Geld in ihre Haende; ihre erwachsene Gesellschafterinn wirthschaftet damit, und legt der Fraeulein Priorinn darueber die Rechnung ab, wenn diese es fordert.             
i) Bis in das 14te Jahr wird eine Stiftstochter als Kind angesehen; vom 16ten ins 18te aber (nachdem das Temperament ist) fuer minderjaehrig. Darnach behandelt man sie, zu Stiftsverrichtungen sie zu gebrauchen und ihre Fehler zu ahnden. Strafen thut man im Stift sehr ungern, vielmehr unterweist man ohne Ermueden, verweist, so oft es noethig ist, vergiebt, so lange es seyn kann, und sagt der Jugend immer, dass, seine Fehler und Vergehungen erkennen und bereuen, keine Schande, sondern vielmehr Ehre sey.     
k) Um sich in Fuehrung der Wirthschaft zu ueben, stehen die Stiftstoechter woechentlich wechselsweise derselben unter Di-

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rection der Fraeulein Priorinn vor, so wie in vorigen Zeiten es die Toechter jedes Hauses thaten. Auch muss ununterbrochen ein Protocoll mit der Anzeige gefuehrt werden, wie viel in jeder Woche von - bis - angekauft worden, und was an eigenem Gewaechse oder Erzug und dergleichen aufgegangen ist. Wenn festliche Vorfaelle besonders groessern Aufwand erfordern; so wird es angezeigt. Unter die Wochenrechnung unterschreibt dasjenige Fraeulein ihren Namen, welches die Wirthschaft derzeit regiert hat.              
Durch dieses Mittel wird man auch nach Jahrhunderten wissen koennen, welche die wirthschaftlichste Tochter gewesen sey, und welche Fraeulein Priorinn die vernuenftigste Ersparung anzugeben gewusst habe. Die Herren Stiftsvaeter werden nicht unterlassen, bey der halbjaehrigen  Visitation dieses Protocoll genau durchzugehen, um Lob und Tadel jeder Wirthinn zu geben, wie sie es verdienet hat. Denn sie sind Vaeter.            
l) Da das Muessiggehen nichts gutes erzeugt; so muessen die Stiftstoechter sich dazu gewoehnen, niemahls ohne anstaendige Beschaeftigung zu seyn. Und wenn keine noethige Handarbeit da ist; so ist zur Bildung des Geistes das Lesen, auch um einen schriftlichen Aufsatz machen zu koennen, das Schreiben ein sehr anstaendiger Zeitvertreib, dem das Zeichnen und die Uebung in der Musik so wenig nachzusetzen ist, als die Koch-und Distillirkunst, das Einmachen, Einsalzen und andere oeconomische Verrichtungen.     
Ueberhaupt muessen sie sich befleissigen, in allen nuetzlichen ihnen dienlichen Wissenschaften eine Fertigkeit zu erlangen, damit, wenn es der Vorsehung gefiele, sie in einen andern Stand zu setzen, sie nicht sich und andern eine Last, sondern brauchbare Personen seyn moegen.
Denn wer weiss es nicht, dass ein gut denkender Mann lieber eine vernuenftige, geschickte, die Haushaltung liebende Gattinn, als eine ungeschickte, reiche, verschwenderische Frau zu haben wuenschet! Und je weniger Beduerfnisse man hat, desto reicher ist man. Daher thaeten die jungen Stiftstoechter immer besser, wenn sie die gewoehnlichen, aber zum Leben und Gesundseyn unnoethigen Beduerfnisse nicht zu brauchen sich angewoehnten.           
m) Weil man durch Briefschreiben seine Gedanken besser bilden und ordnen lernt; so koennen die Fraeulein mit Verwandten, Bekannten, Freundinnen, ja auch mit Mannspersonen (doch mit gehoeriger Einschraenkung) Briefe wechseln. Doch wird, allen Missbrauch zu vermeiden, kein ankommender Brief anders empfangen, als dass er bey der Fraeulein Priorinn abgegeben wird; welche ihn der Person, die ihn haben soll, zuschickt. Die Briefe, die aus dem Stifte gehen sollen, werden zu der Fraeulein Priorinn gebracht, sie zu befoerdern. Besondere

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Briefbesteller darf keine Stiftstochter haben. Hat die Fraeulein Priorinn den Verdacht, dass ein ankommender Brief eines zweydeutigen Inhalts seyn moechte; so erbricht und liest sie ihn, laesst die Person, an die er gerichtet war, rufen, und sagt ihr (wenn es ein wirklich unschuldiger Brief ist), dass sie als Mutter die Vorsorge fuer sie gehabt, nachzusehen, ob dieser Brief nicht etwas nachtheiliges enthalte; sie freue sich aber, sich darinne geirrt zu haben.        
Wenn der Brief aber etwas bedenkliches enthaelt; so zeigt sie ihr solches, untersagt ihr den fernern Briefwechsel mit der Person, und laesst sie den Brief zerreissen. Sie kann auch wohl bey abgehenden Briefen ein gleiches thun, doch nicht eher, als bis die Verfasserinn unter starkem Verdacht stehet.              
n) Das Original der Statuten wird in dem Archiv heilig aufgehoben. Damit aber jede Stiftstochter die Statuten vollkommen wissen koenne; so ist es noethig, dass jede eine genaue Abschrift davon nehme, damit sie sich voellig damit bekannt machen, und auch bey vorkommenden Gelegenheiten sich Raths daraus erholen koenne. Auch muessen die Lehrmeisterinnen solche haben; theils nicht unwissend in diesem Stuecke zu seyn, theils die Jugend, die sie um sich haben, das noethigste oft lesen zu lassen.

§ 6. Von den Andachtsuebungen im Stifte.             
Eine wahre ungeheuchelte Gottesfurcht und Froemmigkeit, ein immer waehrendes Bestreben, den heiligen Vorschriften der Offenbarung Folge zu leisten, kurz ein Freund der Religion zu seyn, ist das einzige Mittel, seine Tage ruhig und gluecklich zu durchleben, und mit gleicher Ruhe des Herzens der Stunde des Abschiedes von hier entgegen zu sehen. Wie noethig es sey, eines solchen Gluecks theilhaftig zu werden, ist eine Sache, die man den von aeusserlichen Glueck und Vorzuegen entbloessten Stiftstoechtern nie genug anpreisen kann, und welches bey ihrer Erziehung den Hauptgegenstand ausmachen muss.         
Ob nun gleich die oeftere Beywohnung des aeusserlichen Gottesdienstes den wahren Christen noch lange nicht macht; so ist es doch ein Mittel, ein solcher zu werden, und dienet wenigstens zur Aufmunterung, denjenigen naeher kennen zu lernen, der uns zeitlich und ewig gluecklich machen will. Gott aber kennen und nicht lieben ist unmoeglich. Daher wird in Absicht dessen ueberhaupt folgendes festgesetzt.
a) Ausser den taeglichen Morgen- und Abendandachten wird alle Sonn- und Festtage unveraenderlich und unausgesetzt des Vormittags der Gottesdienst im Betsaale gehalten; so dass von der Fraeulein Priorinn oder einer Stiftstochter, welcher jene es auftraegt, eine Predigt aus

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einem der bessten Predigtbuecher, die man haben kann, gelesen, auch vor und nach dem Lesen gesungen wird. Der Gesang kann beym Gottesdienst im Stifte mit einem guten musicalischen Instrumente begleitet werden. In der Passionzeit wird des Mittewochs eben derselbe Gottesdienst gehalten, abwechselnd werden auch Sonn- und Festtags einige Stiftsfraeulein zur Kirche fahren.   
b) Zu gleicher Zeit und Stunde, wenn die Fraeulein ihre Andachtsuebungen halten, versammlet der Tafeldecker oder die Wirthinn, wenn sie Ehstnisch lesen koennen (denn sonst muss eine andere Person dazu besorgt werden) das Bauergesinde des Stifts in einem dazu schicklichen Zimmer. Es wird mit ihnen gebetet, gesungen und die Predigt gelesen. Zu dem Ende wird eine Ehstnische Postille und hinlaengliche Anzahl von Gesangbuechern angeschaft und gehalten werden.                
c) Diejenigen Stiftstoechter, welche bey ihrem Eintritte noch nicht in der Lehre gewesen sind, bekommen diesen Unterricht von dem Prediger des Kirchspiels, welcher zu dem Ende ins Stift koemmt und sie im Sprachzimmer unterrichtet. Auch werden sie von demselben confirmirt, wofuer ihm fuer jedes Fraeulein zehen Rubel gegeben werden.            
d) Die Haltung des heiligen Abendmahls wird wenigstens einmahl im Jahre im Stifte gefeyert, und es wird von dem Prediger des Kirchspiels gereicht.         
e) Was des Predigers Gebuehr betrifft, so werden itzt dafuer eins fuer alles und ueberhaupt jaehrlich zwoelf Rubel bestimmt. NB. Wenn in kuenftigen Zeiten das Stift viel staerker besetzt ist; so koennen die Herren Stiftsvaeter nach Verhaeltnis eine Zulage bestimmen.

§ 7.  Von den bestimmten taeglichen Beschaeftigungen.        
a) Jedes Stiftsfraeulein kann in der guten Jahreszeit so fruehe aufstehen, als sie will, um der gesunden Morgenluft zu geniessen und der Pracht der aufgehenden Sonne zuzusehen. Aber nach 6 Uhr laesst sich keine Gesunde mehr im Bette antreffen; weil man spaetestens um 11 Uhr schlafen gegangen ist. Die Zeit bis zur Versammlung im Betsaal kann ihr nicht lang werden, wenn Gellerts, oder eine andere Sammlung guter geistlicher Lieder nicht eine ungebrauchte Zierde ihres Tisches ist. Man kann nicht frueh genug den wohlthaetigen Schoepfer loben.
b) Des Morgens, im Sommer um 8, im Winter halb 9 Uhr, versammeln sich saemtliche Stiftsfraeulein mit der Frl. Priorinn und Lehrmeisterinnen im Betsaale, woselbst ein Morgenlied gesungen, und ein Morgengebet von der Fraeulein Priorinn oder einer andern, die von ihr den Auftrag dazu hat, gelesen wird. Hiernaechst kann aus einem

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so guten Buche, als Sturms Unterhaltungen mit Gott in den Morgenstunden, gelesen werden, wie auch aus einem andern moralischen Werke, welches allgemeine oder Pflichten fuers Frauenzimmer besonders lehrt.
c) Nach der Morgenandacht fruehstuecken alle zusammen im Speisesaale (oder Gesellschaftszimmer der Fraeulein Priorinn, wenn sie es so will). Hernach hat jede Erwachsene die Freyheit, im Saale sich mit Handarbeit, Lesen, Musik oder, was ihr sonst nuetzlich deucht, zu beschaeftigen, wenn sie keine bestimmte Beschaeftigung ausser demselben hat, oder sich in der Zelle im Zeichnen, Schreiben, oder andern nuetzlichen Verrichtungen zu ueben. Die jungen gehen mit den Lehrmeisterinnen wieder an ihre Arbeiten.    
d) Um 12 Uhr wird zu Mittage gespeist an einer Tafel, wo aber keine Rangordnung Statt findet. Mittags werden vier Hauptgerichte und zwey Beyessen, abends drey Hauptgerichte und 1 Beyessen gegeben, und dieses ist immer genug, wenn Besuche aus der Nachbarschaft, oder Verwandtinnen gekommen, selbst wenn die Stiftsvaeter da sind, derentwegen man aber solche Speisen machen laesst, die sie gerne essen moegen, und ihnen setzt man ein Glas Wein vor, wenn sie es gewohnt sind, bey der Mahlzeit zu haben, oder andere Liqueurs. Keine gesundene Person muss in der Zelle oder anderswo essen, als an der Tafel. Nur die Kranken und abgelebten Alten sind von dieser Regel ausgenommen.           
e) Nach der Mahlzeit steht es gleichfalls einer jeden frey, eine ihr gefaellige nuetzliche Beschaeftigung zu waehlen. Um 8 Uhr wird des Abends gespeist. Um 10 Uhr, des Winters schon um halb 10, versammelt sich alles zum Abendgebet, wobey ein Lied gesungen wird. Dieses kann des Sommers im Betsaal, des Winters im obenerwaehnten Gesellschaftszimmer geschehen. Nach dem Gebet geht jede nach ihrem Zimmer; wo spaetestens 11 Uhr alle Lichter, deren Eins in jeder Zelle brennt, ausgeloescht seyn muessen, ausser bey Kranken.

§ 8. Von einigen Vergnuegungen, als Tanzen, Musik, und dem Spiele.    
a) Sowol die Instrumental- als Vocalmusik, eine der edelsten und angenehmsten Beschaeftigungen und Vergnuegungen, wird den Stiftsfraeulein besonders angepriesen. Zu deren Erlernung und Vervollkommnung werden Lehrerinnen gehalten werden, welche einem jeden Fraeulein auf Verlangen Unterricht geben koennen. Die gemeinschaftliche Beschaeftigung wird die Aufmunterung dazu befoerdern.
b) Der Tanz als eine anstaendige Vergnuegung und gutes Mittel zur Ausbildung des Koerpers  und dessen gesunde Bewegung,

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ist nicht untersagt. Nur wird er keine taegliche Beschaeftigung seyn; sondern man nimmt nur einmal in der Woche, naemlich des Mittwochs in den Nachmittagsstunden, diese Uebung vor. Zum Unterricht fuer die, die es noch nicht verstehen, wird ein Tanzmeister einige Wochen Unterricht geben, wenn es noethig ist. Und dann bestellen die Herren Stiftsvaeter den Tanzmeister.              
c) Die Spiele, welche zur Bewegung der Koerpers dienen, als die Volante, die Ballspiele u. s. w. sind ganz erlaubt. Was das Kartenspiel betrifft, so wird, da man bey den aeltern Fraeulein eine reife Beurtheilung des Werths desselben, gesunde Grundsaetze und Einsichten voraussetzt, und also keine Ausschweifung darinne zu besorgen hat, nur diese Einschraenkung gemacht, dass sie nie anders als oeffentlich, nie in den Zellen, nie des Vormittags, nie nach der Abendmahlzeit, nie laenger als Eine, hoechstens 2 Stunden eine Person, auch nie auf Gewinst spielen.            
Die Minderjaehrigen spielen gar nicht, koennen aber dem Spiele zusehen, es zu erlernen. Doch kann, wenn man Gaeste ehrenhalber mit dem Spiele unterhalten muss, um den niedrigsten Gewinnst, der in den Zeiten ueblich ist, von den geschicktesten Fraeulein im Spielen, eine Partie fuer Rechnung des Stifts gemacht werden. Was gewonnen wird, wird zu Allmosen verwandt, wenn die Herren Stiftsvaeter bey der Visitation diese kleine, dazu bestimmte Casse uebersehen. Keine Stifstochter spielt um ihr Geld. Den erwachsenen Pensionairinnen schreibt man in diesem Stuecke nichts vor, sondern verlaesst sich auf ihre Vernunft.    
d) Das Spatzirengehen in guter Jahreszeit, in den Stiftsgaerten und Gehaegen, wird zur Gesundheit als Erholung gleich dienlich seyn, wenn es nicht gemissbraucht wird. Daher ist es auf keine Weise verboten. Nur dass es jedesmal der Fraeulein Priorinn gemeldet wird. Ohne ihr Vorwissen geht man nicht aus.

§ 9. Von den Besuchen.          
Da es die Absicht dieses Stifts nicht ist, die Fraeulein von aller Gesellschaft und Freyheit des Umgangs auszuschliessen, sondern ihnen einen anstaendigen und angenehmen Auffenthalt zu verschaffen; so wird es einem jeden Stiftsfraeulein ueberhaupt frey stehen, Besuche zu geben und zu empfangen. Nur muss folgendes dabey beobachtet werden.       
a) Wenn Stiftsfraeulein in der Nachbarschaft des Stifts, von wo sie allezeit den Abend wieder zu Hause seyn koennen, Besuche geben wollen; so erbitten sie die Erlaubniss und die Equipage dazu von der Fraeulein Priorinn. Eine jede wird sich bescheiden, dass sie dieses nicht zu oft verlange, damit auch andere zum Besuchgeben kom-

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men, und die Pferde es aushalten koennen.            
b) Wenn ein Stiftsfraeulein ihre Aeltern oder Verwandte zu besuchen wuenscht, oder von denselben verlangt wird; so muessen selbige sie selbst abholen lassen. Zum Reisen wird keine Stiftsequipage gegeben; nur zum Besuchen.
c) Die Erlaubnis zum Reisen muss von der Fraeulein Priorinn erbeten werden, die es keiner Pensionairinn, auch keiner Stiftstochter nie ohne wichtige Ursache abschlagen wird.      
d) Keine Stiftstochter kann ueber vier Wochen ausbleiben. Thut sie es, ohne dass sie dieses schriftlich erbeten haette; so bekoemmt sie darueber von der Fraeulein Priorinn einen Verweis. Bleibt sie aber gar ein halbes Jahr weg, ohne durch Krankheit, die ihr die Reise unmoeglich machte, daran behindert zu seyn, oder ohne dass Aeltern oder Verwandte es gehoerig gemeldet haetten, so verliert sie ihre Stelle im Stifte.    
e) Es kann auch jedes Stiftsfraeulein Besuche empfangen. Der Tafeldecker (wenn einer gehalten wird) fuehrt die Gaeste in den grossen Saal, und meldet den Fraeulein, denen der Besuch gilt, die Ankunft der Gaeste, und gleich darauf der Fraeulein Priorinn, die als Mutter die Besuchenden ihrer Kinder aufnimmt und bewirthen laesst. Nur darf zu befuerchtenden Unordnung und Unbequemlichkeit wegen kein Besuch im Stifte bis nach 10 Uhr Abends dauren. Keine fremden Bedienten und Pferde werden im Stift gelitten und unterhalten. Sie muessen in dem dazu zu erbauenden Wirthshause bleiben.              
f) In den Zellen werden keine Besuche angenommen. Doch koennen Verwandtinnen ein unpaessliches Fraeulein, mit Vorwissen der Priorinn, daselbst besuchen. Wenn die Fraeulein Priorinn dabey gegenwaertig ist; so kann auch eine Mannsperson in die Zelle kommen.
g) Kein Stiftsfraeulein kann eigene Equipage halten.

§ 10. Von dem, was bey vorfallenden Krankheiten zu beobachten ist.    
a) Es wird ein bestaendiger Arzt des Stifts in jaehrlichen Gehalt genommen, welcher in dem Flecken Wesenberg oder sonst so nahe wohnet, dass man ihn leicht haben kann, wenn seine Huelfe noethig ist. Die Medicin wird allezeit vom Stift bezahlt.       
b) Bey einer sehr langwierigen oder einer ansteckenden Krankheit, wird die Patientinn in das besondere Krankenzimmer des Stifts gebracht. Und muss alsdenn das Stift sehr fleissig durchraeuchert, auch alle noethige Vorsicht angewendet werden.                
c) Fuer die besste Pflege und Wartung der Kranken muss auf alle Weise gesorgt, auch ihre Krankheit den Aeltern und Verwandten gemeldet werden.

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§ 11. Von den durch Alter schwach und entkraeftet gewordenen Stiftstoechtern.  
Wenn Alter und Unvermoegen den Stiftstoechtern die Gaenge in Kueche und Keller zu beschwerlich machen, oder es ihnen unmoeglich faellt, ihren bisherigen Aemtern und Geschaeften gehoerig vorzustehen; so legen sie alles nieder, und wird nichts mehr von ihnen gefordert. Denn fuer diejenigen, welche die Last der Jahre drueckt, sind keine Lebens- und Verhaltungsregeln mehr; sondern man hat von ihnen die gute Meynung, dass sie sie alle erfuellen wuerden wenn sie koennten. Diese haben itzo sich nur zu bemuehen, dass sie ein gutes Beyspiel der Geduld, der Sanftmuth, der Liebe und Friedfertigkeit geben; weil nur diese Tugenden bey Alten und Jungen Gegenliebe und Achtung erwecken, ein wiedriges Betragen aber sie verhasst machen kann. Daher sind sie in allem, was nicht wieder die Wohlanstaendigkeit laeuft, ohngebunden.              
Doch wenn sie gar kindlich wuerden, so haelt man sie mit Liebe zurueck. Man sucht ihnen den Abend ihres Lebens so bequem und angenehm zu machen, als moeglich. Alles was im Stifte gut denkt, bemuehet sich, ihnen dazu behueflich zu seyn, und verehret sie ihres Alters und vorigen guten Wandels wegen. Besonders laesst sich die Fraeulein Priorinn durch Vorsorge und veranstaltete gute Pflege diese Pflicht angelegen seyn. Sie giebt ihnen die geschicktesten und treuesten Maegde, und hoffentlich wird es keinem Fraeulein verdriessen, wenn zu dem Ende ihre bessere Magd mit einer anderen umgetauscht wird. In ihrem Alter erwartet sie gleiche Gefaelligkeit.

§ 12. Von der Kleidung und dem Anzuge einer Stiftstochter.  
A) Die Stiftstracht bestehet    
a) in einem so genannten Ordenshabit von schwarzseidenem Zeuge. Dieses wird nur bey festlichen Gelegenheiten getragen.                
b) In einer alltaeglichen Kleidung, Stiftshabit genannt, wozu kein seidenes oder theures Zeug, sondern gute einlaendische Leinewand fuer den Sommer gegeben wird. Die Farbe ist bey allen gleich, und blau und weiss gestreift; doch kann das Kleid in der heissen Jahreszeit auch ganz weiss seyn. Im Winter wird wollenes oder baumwollenes Zeug gegeben, dessen Farbe auch blau und weiss, oder ganz grau seyn kann, nachdem eines oder das andre von dem Stifte vortheilhafter eingekauft werden kann.          
B) Die Art und der Schnitt bey der Kleidung sowol, als des Kopfzeuges, welches gleichfalls durchgaenig uniform seyn soll, werden von der Stifterinn bestimmt, und muessen auf immer ohne Abaenderung verbleiben; es sey denn, dass sich in der Laenge

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der Zeit eine bequemere, besser kleidende, und weniger kostende Art, welche wenigstens nichts theurer seyn muss, dazu ausfuendig machen liesse. In dem Fall koennte die derzeitige Fraeulein Priorinn, jedoch mit Einwilligung der Herren Stiftsvaeter, diese Veraenderung vornehmen.               
C) Was an Pelzen oder Suertours von der Stifterinn, der Winterausfahrten  wegen, bestanden wird, bleibt in alle folgende Zeiten fuer die Stiftstoechter zur Richtschnur.           
D) Kein Stiftsfraeulein ueberhaupt darf Praetiosa, als Uhren, Diamanten und dergleichen, im Stifte an sich tragen; nur ein simpler, goldener Ring wird zu tragen erlaubt.   
E) Den Lehrmeisterinnen ist gleichfalls erlaubt, sich in der Stiftstracht zu kleiden; doch haengt solches von ihrer Willkuehr ab. Nur Praetiosa tragen sie auch nicht an sich.

§ 13. Von Erwerbniss, Ersparniss und Testamenten.              
a) Um alle Gelegenheiten zum Muessiggang zu vermeiden, und um sich etwas zu erwerben, haben die Stiftstoechter die Erlaubniss, Handarbeiten zu machen und sie verkaufen zu lassen.               
b) Und obgleich der Stifter untersagt hat, dass keine, welche 1000 Rubel Vermoegen hat, aufgenommen werden solle; so kann doch eine in das Stift kommen, welche etliche hundert hat. Da sie nun die Zinsen davon nicht braucht; so kann sie (wenn sie keine Verschwenderinn seyn will) selbige durch die Herren Stiftsvaeter auf Zinsen austhun, und die erhaltenen Zinsen wieder auf Zinsen geben lassen. Ueber diese ersparten und etwa dazu erworbenen Gelder, wie oben erwaehnt ist, kann jede nach Wilkuehr disponiren. (Diese Summen moegen so gross werden, als sie wollen, so rechnet man sie nie mit unter das Vermoegen, welches eine Stiftstochter erbet, so dass sie zu reich zu einer Stiftstochter wuerde.) Daher koennen die Stiftstoechter auch Testamente machen.        
c) Da es nun sehr wahrscheinlich ist, dass viele es zum Theil oder alles dem Stifte freywillig vermachen moechten; so koennte dadurch ein Fond mit der Zeit entstehen, dass auch mehrere Stiftstoechter aufgenommen werden koennten. Und die itzt versorgten armen Kinder haetten Gelegenheit, zu kuenftiger Armenversorgung etwas beyzutragen; welches ihrem Fleisse eine Aufmunterung geben mag.
d) Wenn eine Stiftstochter ueber fuenfhundert Rubel ausser dem Stifte vertestirt, und dem Stifte nichts vermachen will; so ist sie gehalten, dem Stifte 1 pro Cent zu vermachen.            
e) Eine Stiftstochter, die nicht 20 Jahr alt ist, kann kein Testament machen.       
f) Soll ein Testament eines Fraeuleins, welches dieses Alter erreicht hat, gueltig seyn; so muss es von den Herren Stiftsvaetern, oder wenn diese nicht dazu

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kommen koennen, von dem Oeconomen, dem Arzte, oder dem Prediger, nach vorhergegangener Bitte der Testatricin an sie, unterschrieben und untersiegelt werden.   
g) Da die Stiftstoechter aus dem Hause Toll nach dem Testament ihres Stifters (wovon eine Abschrift in dem Archiv des Stiftes aufgehoben wird) so gar ueber 2000 Rubel Eigenthum haben koennen, sie aber nichts mehr ausgeben duerfen, als die andern; so kann sich von ihren Vermaechtnissen an das Stift etwas bedeutendes sammlen. - Wenn denn von ihrem Stifter fuer die Fraeulein, die die Anwartschaft zu dieser Stelle haben, ein besonderer Fond von 2000 Rubel zugleich mit den 3000 Rubel fuer die Stiftstochter in die Rittercasse auf Zinsen gegeben worden (von der Annahme dieser Capitalien zeigt der Extract des Protocolls, dessen Copie auch im Stiftsarchiv verwahrt wird), diese also jede 60 Rubel jaehrlich haben und Testator Verfuegungen machen wird, dass beyde Gehalt habende in der Anwartschaft stehende, ueber kurz oder lang, den vollkommenen Gehalt einer Stiftstochter haben sollen; so wird, wenn daran noch etwas fehlen sollte, von solchen Vermaechtnissen der Fond vollkommen gemacht., Indessen koemmt es auf die Einsicht und Bepruefung der Herren Stiftsvaeter an, wenn man anfangen koenne, die Kost frey zu geben, weil wo viele essen, Eine ohne grosse Kosten satt werden kann.
h) Zu der Zeit melden die Herren Stiftsvaeter, durch den Herrn Ritterschaftshauptmann, dem in der Anwartschaft stehenden Fraeulein Toll, dass sie nun ins Stift aufgenommen werden koenne (wenn sie nicht als Pensionairinn da ist) und dass sie ihre 60 jaehrliche Rubel aus der Rittercasse empfangen werden; und so einst der andern. Und von der Zeit an, dass sie die Kost frey haben, sieht man sie wie vollkommene Stiftstoechter in allem an, so dass sie alle deren Vorrechte geniessen.                
i) Wenn eine Stiftstochter verheirathet wird; so ist sie nicht das geringste von ihrem Ersparten oder Erworbenen dem Stifte zu verlassen schuldig, da sie selbst alles braucht. Vielmehr waere ihr etwas zu zugeben, wenn die Umstaende des Stifts es erlaubten. Das Stift ist als eine Mutter anzusehen, welche ihrem Kinde gerne helfen moechte, wenn sie es, ohne den andern etwas abbrechen zu muessen, thun koennte.

§ 14. Von dem Austritte einer Stiftstochter und was dabey zu beobachten ist.        
Der Austritt erfolgt                
a) freywillig, wenn sie aus eigenem Willen, oder auf Verlangen der Aeltern oder Verwandten austritt. In diesem Falle ist sie verbunden, es wenigstens 6 Wochen vorher den Herren Stiftsvaetern und

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Fraeulein Priorinn zu wissen zu thun, und die Ursachen anzuzeigen, welche sie dazu bewegen. Diese werden darauf einen Tag bestimmen, wenn der Austritt geschehen soll. Die Aeltern, denen es gemeldet worden, oder die Verwandten erscheinen am bestimmten Tage im Stifte, und allen Fraeulein im Sprachzimmer, doch nicht im Ordenshabit; nur die Austretende hat ihn an. Ein Herr Curator macht die Ursache der Zusammenkunft bekannt. Die Austretende stattet oeffentlich ihre Dankbarkeit den Hrn. Curatoren, der Fraeulein Priorinn und alle Mitconventualinnen fuer alle empfangene Wohlthaten und Freundschaft ab. Nachdem dieses geschehen und der Actus ins Protocoll eingetragen ist; geht sie in ihre gewesene Zelle, legt ihren Ordenshabit ab, und uebergiebt ihn der Fraeulein Priorinn. Von dieser Stunde an wird sie als eine Fremde angesehen, und kann auch nicht wieder ins Stift aufgenommen werden, wenn sie keine gegruendete Ursache ihres Austritts gehabt hat.             
b) Durch eine getroffene Eheverbindung, die auf eine sittsame, anstaendige und dem Stifte unnachtheilige Art, wie auch nach reiflicher Ueberlegung geschehen muss; indem das Stiftsfraeulein den Antrag ihres Braeutigams in Gegenwart einer oder mehrer Mitconventualinnen angehoert, und nachdem sie es zuvor der Fraeulein Priorinn und Herren Curatoren gemeldet und ihre Einwilligung eingeholt, ihm das Jawort ertheilt hat. Sobald dieses geschehen ist, erfolgt der Actus des Austritts wie bey a) gemeldet, und man gibt der Gesellschaft eine festliche Mahlzeit; auch sind alle Stiftsfraeulein im Ordenshabit. Der Austretenden wird ein weiss taftenes Brautkleid vom Stifte gegeben.
c) Wenn eine Stiftstochter das Unglueck haette, an einer so boesartigen Krankheit, als Epilepsie, fressenden und unheilbaren Geschwueren, Krebs, Bloedsinnigkeit des Verstandes oder dergleichen unheilbaren Krankheiten zu befallen; so werden die Herren Curatores fuer ihre anderweitige Verpflegung, Heilung und Unterhaltung alle moegliche Sorge tragen. Wuerde eine solche Person wieder voellig geheilet werden; so wird sie wieder in das Stift aufgenommen, woselbst ihre Stelle, so lange sie lebt, unbesetzt bleibt. Es wird indessen von der Fraeulein Secretairinn in das Protocoll eingetragen, wenn, und wohin sie aus dem Stifte gebracht worden, wenn sie wieder aufgenommen, oder wenn sie verstorben ist; und dann wird sie auf Stiftskosten begraben. Hiebey ist wol zu bemerken dass das hohe Alter, oder auch andere kraenkliche Umstaende, welche eine Person noethigen, immer das Zimmer oder Bett zu hueten, auf keine Weise eine Veranlassung zum Austritt werden koenne; es sey denn auf ihr eigenes Verlangen. Eine solche ist vielmehr mit vermehrter Sorgfalt zu pflegen und zu bedienen;

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auch wo moeglich ist ihr ein eigenes Zimmer zu geben. Siehe was schon vorher vom hohen Alter gesagt ist!       
d) Wenn eine Stiftstochter nach mehrmahls wiederholten, freundlichen und ernstlichen Erinnerungen und Intimationen von den Herren Stiftsvaetern und Fraeulein Priorinn zu keiner Aenderung ihrer Fehler oder ihrer Unvertraeglichkeit kommen will, und ihr der Austritt angekuendigt werden muss; so kann dieses nach Befinden der Herren Curatoren und der Fraeulein Priorinn entweder oeffentlich mit dem No. a) benannten Umstaenden, oder auch in der Stille geschehen. Da denn gleich darauf eine Ermahnung an alle Stiftsfraeulein gehalten wird, sich dieses Vorfalls oft zu erinnern. Im Protocoll wird treulich únd gewissenhaft angemerkt, warum man sie hat ausschliessen muessen.           
e) Es erfolgt endlich der Austritt durch den Tod. Und sobald eine Stiftstochter gestorben ist; meldet die Fraeulein Priorinn den Todesfall sogleich den Herrn Curatoren, damit sie das Begraebnis veranstalten; besorgt durch einige der bessten Freundinnen von der Verstorbenen die Kleidung der Leiche im voelligen Ordensanzug, und wenn der Sarg fertig geworden, geschieht das Einsargen in Gegenwart saemmtlicher Stiftsfraeulein.
Mit der Beerdigung wird nicht lange gesaeumet, und es werden dazu 10 bis 12 Cavalier aus der Nachbarschaft als Traeger und Begleiter eingeladen, welche nebst dem Hrn. Pastor loci an dem angesetzten Begraebnisstage morgens um 11 Uhr im Stifte erscheinen, daselbst mit der uebrigen Gesellschaft, die in Trauer ist, zu Mittage speisen. (Die Mahlzeit muss einem Trauermahle anstaendig, aber nicht festlich seyn.)
Hernach begiebt sich die Gesellschaft nach dem Betsaal, wo eine Trauerrede nach 2 Uhr nachmittags gehalten und die Begraebnissceremonie verrichtet wird. Darauf begleiten die erbetenen Herren die Leiche nach der Stiftscapelle, wo die Gesellschaft dimittiret wird. Vier Wochen von dem Sterbetage an wird die Trauerkleidung getragen, welche in weissem Flohr und schwarzem Bande bestehet. Die Kosten des Begraebnisses traegt das Stift, ohne an das Ersparte der Verstorbenen desfalls Anspruch zu machen.

§ 15. Von Erhaltung guter Ordnung und den Strafen im Stifte.               
Unter einer Gesellschaft wohlgezogener, gesitteter und andern zum Beyspiel der Religion und Tugend dienender Peronen sollten billig keine Strafen und vielweniger Ausschweifungen Statt finden koennen und es waere daher zu wuenschen, dass dieser Paragraph der Statuten nicht so wol nie angewendet als vielmehr ganz ausgelassen werden koennte. Da es gleichwol Beyspiele giebt, dass sich in den ehrwuerdigsten Gesellschaften Leute gefunden, die Gott,

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Tugend, Gewissen und eigene Ueberzeugung dermassen hintan gesetzt, dass sie sich von ihren Leidenschaften haben hinreissen lassen, und dadurch den rechtschaffenen Menschen ein Scheusal geworden sind; so ist es noethig, hier anzuordnen, wie solche ausgearteten Gemuether von den besser Denkenden abzusondern sind.    
a) Erfaehrt die Fraeulein Priorinn, oder wird vielmehr durch untruegliche data ueberfuehrt, dass ein Stiftsfraeulein sich so niedertraechtig wegwuerfe, die dem weiblichen Geschlechte so anstaendige Schamhaftigkeit hintan setzte, und sich verbotenen Umgang erlaubte; so meldet sie diesen ungluecklichen Vorfall sogleich beyden Herren Curatoren. Da denn beyde (oder wenn einer durch Krankheit oder Abwesenheit behindert wird; so erwaehlt der andre sich einen rechtschaffenen und gewissenhaften Edelmann, den er dafuer kennet, zum Assistenten) sich ohne Anstand ins Stift begeben, die Sache auf das gewissenhafteste untersuchen, und wenn die Anzeige gegruendet befunden wird, mit Zuziehung der Fraeulein Priorinn, die schuldige Person, wenn sie nichts dawieder zu beweisen vermag, dahin verurtheilen, dass sie ihrer Stelle verlustig sey, und ohne alle Nachsicht in schlechten, abgetragenen Kleidern aus dem Stifte verstossen werde muesse; welches Urtheil auch sofort in Effect gesetzt werden muss.
b) Hat die Zellengesellschafterinn die Ausschweifung der schuldigen Person gewusst, und es der Fraeulein Priorinn nicht angezeiget, wie sie doch haette thun sollen; so wird sie, ob sie gleich ihres Vergehens sich nicht theilhaftig gemacht, im Sprachzimmer oeffentlich in Gegenwart aller Conventualinnen von einem der Herren Stiftsvaeter und der Fraeulein Priorinn zur Rede gestellt, ausgeschaemt und ihr dabey angekuendigt, dass sie kuenftig bey einem aehnlichen manquement ihrer Stelle verlustig sey. Hierauf muss sie die ganze Versammlung wegen des, dem Stifte zwar nicht selbst gegebenen, aber auch nicht durch Anzeigen verhueteten Aergernisses um Verzeihung bitten, und der Fraeulein Priorinn die Hand kuessen, mit dem Versprechen, kuenftig achtsamer zu seyn.      
c) Damit man aber der Anwendung dieses aeussersten Mittels zuvorkomme; so ist noethig, dass die Fraeulein Priorinn das Temperament ihrer Untergebenen genau auszuforschen bemueht sey, und bey dem geringsten Verdacht als eine treue Mutter, unter 4 Augen, die Person, die es noethig hat, vor aller ihr mehr, als andern drohenden Gefahr liebreich warne und ermahne u.s.w., wenn die Sache schon ernsthafter ist, mit ernstlichen Zureden bestrafe, und allen boesen Folgen vorzubeugen suche; ja, wenn die Person durchaus ihre Leidenschaft nicht maessigen will oder kann, ihr lieber den Rath gebe, das Stift freywillig zu verlassen, als mit Schimpf und Schande hinausgestossen zu werden.

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d) Zur Eintracht, Vertraeglichkeit, Sanftmuth, und Subordination koennen saemmtliche Bewohner des Stifts nie genug ermahnet werden, weil sie durch ein gegenseitiges Betragen, Unordnung und Zerruettung im Stifte bewirken; da doch ein jeder darinne ein stilles und zufriedenes Leben geniessen koennte.      
Sollte sich indessen ein Stiftsfraeulein in fortdauernder Unachtsamkeit, Heftigkeit, zornigen Gebehrden, Zanksucht und Ungehorsam erfinden lassen; so stellet               
1) die Fraeulein Priorinn ihr diesen Unfug anfaenglich mit aller Sanftmuth vor. Fruchtet dieses nicht; so spricht
2) sie mit ihr, (doch ohne Beleidigung), in ernsthaftern Tone im Beysein zweyer oder dreyer Fraeulein. Will auch dieses nicht helfen; so meldet sie es      
3) den Herren Stiftsvaetern, die vorher die Sache unpartheyisch untersuchen und, nach gegruendet befundenem Vergehen, die Schuldige nebst der ganzen Versammlung ins Sprachzimmer fordern, sie bestrafen und ermahnen, den boesen Fehler nicht mehr zu begehen oder gewaertig zu seyn, dass sie als eine Stoehrerinn der Ruhe, aus dem Stifte verstossen werden, und sich selbst ungluecklich machen wuerde. Bessert sie sich auch alsdenn nicht; so meldet           
4) die Fraeulein Priorinn solches abermals den Herren Curatoren, welche wiederum eine genaue Untersuchung der Umstaende, mit Zuziehung der Fraeulein Priorinn Ihre Ausschliessung festsetzen. Es wird darauf die ganze Versammlung ins Sprachzimmer berufen, und der Auszuschliessenden angekuendigt, dass, da weder sanfte, noch ernste Ermahnungen vermoegend gewesen, sie dahin zu bringen, ihren argen Fehler abzulegen, sondern sie vielmehr im beharrlichen Eigensinn, Unversoehnlichkeit, Zanksucht, Ungehorsam, oder andern unanstaendigen Untugenden verblieben; sie sich des Vortheils den ihr die Vorsehung zu ihrer Erhaltung und zu ihrem bequemen Leben bey einem tugendhaften Wandel zugedacht, verlustig gemacht habe, dass sie also nunmehro aus dieser wohlthaetigen Anstalt  ausgeschlossen wuerde. Sie legt darauf ihre Stiftstracht ab. Alles dieses geschieht, nachdem die Herren Curatoren vorher den Verwandten der Person es gemeldet, und einen Tag mit dem Ersuchen, sie aus dem Stifte abzuholen, bestimmt haben. Hier gilt denn keine Vorsprache oder Vergebung mehr. Wenn es schon zum Urtheil gekommen ist; so ist dieses alsdann unwiederruflich.  
e) Alle anderen Arten von Geld- und Leibestrafen sind auf ewig aus dem Stifte verbannt.      
f) Ein besonderes Protocoll der Strafen ueber Verbrechen von der Art, als in diesem Paragraphen Lit. A- und D- beschrieben sind, muss gefuehrt werden. Hierinn wird der ganze Actus der Hintersuchung und Verstossung der Verurtheilten, zu ihrer ewigen Schande, verschrieben,

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und jaehrlich einmal, naemlich an dem Tage, da die erste Verbrecherinn ausgestossen worden, den saemmlichen Fraeulein von der Fraeulein Secretairinn vorgelesen. (Moechte dieses Protokoll ewig weiss Papier bleiben!)

§ 16. Von den Aemtern und Functionen der Stiftstoechter.    
Die in Aemtern stehenden Fraeulein sind vor allen Arbeiten, die fuer die Beduerfnisse des Stifts gemacht werden, auch, wenn sie wollen, von woechentlicher Fuehrung der Wirthschaft voellig frey, weil sie als Vorsteherinnen, Aufsicht auf ein und anderes zu haben, von der Fraeulein Priorinn, (wenn diese nicht alles uebernehmen kann) als ihre Gehuelfinnen gebraucht werden, und wenn aus der Mitte der Stiftstoechter kuenftig, an Statt der Gouvernantinn, die Erzieherinn der Jugend auch eine Fraeulein Unterweiserinn derselben ist; so folgen die Aemter in ihrem Ansehen so auf einander; erst die Erzieherinn der Jugend, dann die Schatzmeisterinn, die Unterweiserinn, die Secretairinn, die Bibliothekairinn. Die Fraeulein Erzieherinn der Jugend sowol als die Fraeulein Unterweiserinn, werden von beyden Stiftsvaetern, der Fraeulein Priorinn und allen Stiftstoechtern erwaehlt. Ihre gewoehnlichen Verrichtungen sind folgende:               
a) Die Fraeulein Schatzmeisterinn!         
Sie wird durch die Mehrheit der Stimmen beyder Herren Curatoren, der Fraeulein Priorinn und aller Stiftstoechter, die nicht in der Classe der Kinder stehen, aus den Stiftstoechtern erwaehlt. Die Wahl geschieht so, dass man den Namen derer, die man waehlt, auf einen Zettel schreibt, ihn zusammenrollt und in einen Hut, (der zu dem Ende da ist), legt. Diejenige, auf welche die mehresten gestimmt haben, kann sich diesem Amte keineswegens entziehen. Es kann sich aber auch Eine freywillig anbieten, und wenn die Waehlenden mit ihr zufrieden sind; so ist keine Wahl noethig. Ihre Verrichtungen und Pflichten  bestehen in folgenden.               
1) Sie hat den Kasten, worinn der eigentliche Schatz des Stifts, das ist, alle dessen wichtigtste Documente liegen, und welcher das Archiv genannt wird, unter ihrer Aufsicht. Diese Documente bestehen aus den Documenten des Guts; den Statuten des Stifts; dem Transact, der die Fundation in sich begreift; imgleichen den Abschriften des Testaments des von Toll, seinen Ahnen, Stammtafeln, und dem Extract des Protocolls der Rittercanzelley, das die Annahme des Fonds seines Instituts anzeiget. Wenn kuenftig jemand aehnliche Einrichtungen macht; so werden diejenigen Documente, die den Grund seines Instituts enthalten, auch im Archiv verwahrt, wie auch alle Testamente oder deren Abschriften, die zum Bessten des Stifts von Stiftsfraeulein etwa

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gemacht worden sind. Endlich alle Obligationen und Verschreibungen ueber die Capitalien des Stifts. Von diesen liegt immer ein Register, worauf alle genau specificiret sind, bey ihnen. Dieser Kasten ist mit drey Schloessern zu verschliessen, zu welchen ein Herr Sttiftsvater einen, die Fraeulein Priorinn den 2.ten,  die Fraeulein Schatzmeisterin den dritten Schluessel hat. Er wird nun immer im Beyseyn aller dreyen eroeffnet, und wird, wenn man ihn in dem Gewoelbe haelt , jaehrlich bey der Visitation gleichsam ausgelueftet, dass die Papiere nicht verderben. Auch hat die Schatzmeisterinn den 3ten Schluessel von der Hauptkasse in ihren Haenden.       
2) Sie empfaengt und zaehlt jedesmahl selbst das Geld, das ihr der Oeconom abgiebt, quitirt ihn, legt das Geld gleich in den mit 2 Schloessern versehenen Kasten, der  in dem Zimmer der Fraeulein Priorinn stehet , und wovon diese  einen, sie aber den anderen Schluessel hat. Sie traegt die empfangene Summe, so wie kuenftig alle Ausgaben, gleich in das Cassabuch ein, (mit Anmerkung des Datums) welches in demselben Kasten verwahrt wird. Kommen andere Geldeinnahmen vor; so verfaehrt sie auf die gleiche Art.            
3) Sie zahlet alle Gehaltgelder aus, wenn die Herren Curatores sie dazu anweisen; ferner was in der Wirthschaft, oder auf Verordnung der Fraeulein Priorinn anderwaerts erforderlich ist. Desgleichen  die Nadelgelder. Sie laesst sich ueber alles quitiren. Zu diesen Quitungen haelt sie ein eigenes Buch, worinn ein jeder, der etwas empfaengt, die Quitung selbst einschreibt.    
4) Sie muss nach der ihr zu gebenden Vorschrift jaehrlich den 31. December eine richtige Jahresrechnung abschliessen, mit Anzeigung des vorhandenen Saldo, und sie den Herren Curatoren, wenn sie da sind, zur Revision uebergeben, welche, nachdem dieses geschehen und das Saldo ueberzaehlt ist, die Rechnungen quitiren, welche alle aufgehoben werden.              
5) Wenn nicht ein fuer allemahl ein Nothpfennig fuer alle Unfaelle, die das Stift und die Bauren des Gutes treffen koennen, so abgelegt ist, dass er nie angegriffen wird; so muss die Schatzmeisterinn mit der Fraeulein Priorinn gemeinschaftlich dafuer besorgt seyn, dass jaehrlich eine hinlaengliche Summe in der Casse nachbleibe, das vorkommende zu bestreiten. Man behilft sich allenfalls mit weniger, um nicht Capitalien des Stifts angreifen zu muessen.          
6) Das Inventarium von Meublen, Betten, Leinzeug, Tisch- und Kuechen geraeth u.s.w. stehet unter ihrer Aufsicht, und sie sorgt moeglichst dafuer, dass nichts durch Nachlaessigkeit, oder auf andere Art verderbet werde. Ist von diesen Beduerfnissen etwas neu anzuschaffen; so thut sie es nach der Anweisung der Fraeulein Priorinn.
7) Sie hat den Vorrath, der zu Kleidern, Waesche und anderen Beduerfnissen der Stiftstoechter und des Dienstvolks angeschafft wird, unter ihrer Verwahrung in der Vorrathskam-

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mer; und haelt ein Buch, worinne genau verzeichnet wird, wenn und wie viel jedesmahl empfangen und ausgegeben ist. Imgleichen sind alle Schreibmaterialien, die zum Gebrauch und Dienst des Stifts erfordert werden, in ihrer Verwahrung; und sie sorgt so viel moeglich dafuer, dass durch unnuetzen Verbrauch dem Stifte kein Nachtheil geschehe.               
8) Da diese Beschaeftigung sie hindern, sich, so wie andere Stiftstoechter, etwas zu erwerben; so hat sie ein jaehrliches Gehalt von dreissig Rubel zu geniessen.                
b) Die Fraeulein Secretairinn!
Sie wird durch die Mehrheit der Stimmen aller Stiftstoechter erwaehlt, und von den Herren Stiftsvaetern und der Fraeulein Priorinn bestaetigt. Ihr Amt bestehet darinn:    
1) Dass sie die Meldungen und Benachrichtigungen an die Hrn. Curatoren, oder Aeltern oder Verwandten der Stiftsfraeulein schreibt, wenn die Fraeulein Priorinn es ihr auftraegt, oder, was sonst fuer das Stift zu schreiben ist, ausrichtet.  
2) Sie fuehrt ein Journal von allem dem, was merkwuerdiges von Zeit zu Zeit vorgehet.       
3) Sie fuehrt alle Protocolle, die im Stifte gehalten werden und deren in den Statuten Erwaehnung geschehen ist (ausser das von woechentlicher Fuehrung der Wirthschaft) Hierzu kommt noch ein Protocoll von allen besondern guten Handlungen, die von den zum Stift gehoerigen Personen verrichtet worden. Dieses Protocoll wird jaehrlich dreymahl, am Tage der Einweihung des Stifts, am Johannis- und am Jacobitage, als an drey Stiftsfesttagen, oeffentlich und in voller Versammlung vorgelesen, um Nacheiferung zu erwecken und um jene gute Handlungen unvergessen zu machen.  
4) Auch was sonst von den Herren Curatoren und der Fraeulein Priorinn aufzuschreiben aufgegeben wird, schreibt die Fraeulein Secretairinn auf.               
NB. Das Protocoll vom Eintritt, Alter, Austritt, Tod der Stiftsfraeulein, ist doppelt zu halten; eins naemlich von den Stiftstoechtern, das andere von den Pensionairinnen.    
c) Das Fraeulein Bibliothekairinn!          
Ihre Wahl und Bestaetigung geschieht wie Lit. b gemeldet ist. Ihr Amt und Verrichtung sind folgende:
1) Die Stiftsbibliothek ist ihr anvertraut, wovon sie den Catalogum und den Schluessel hat; sie leihet die Buecher an die Stiftsfraeulein aus, und fuehrt ueber Ausgaben und Rueckgabe richtig Buch, weil sie fuer die Buecher aufkommen muss. Wenn ein  ausgeliehenes Buch so verderbt worden, dass es unbrauchbar ist; so zeigt sie es der Fraeulein Priorinn an, die von dem Nadelgeld der Fraeulein ein neues anschaffen laesst. Aus dem Stifte wird kein Buch gegeben.  
2) Alle vollgeschriebene Protocolle und alte Rechnungen, sowol der Fraeulein Schatzmeisterinn als anderer, hat sie zu verwahren. Auf den Ruecken der Baende, unter der Bezeichnung, was fuer eines es sey, be-

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merkt sie mit Buchstaben oder Zahlen, welcher Theil es sey, damit man in allen Zeiten finden koenne, wie ein jedes zusammen gehoere.          
3) Da sie am seltensten bestimmte Beschaeftigung haben wird, so wird die Fraeulein Priorinn sie am oeftersten als ihre Gehuelfinn brauchen.

Capitel III.

Von der Fraeulein Priorinn, ihren Requisiten, ihrer Wahl, Pflichten, Vorrechten u.s.w.

§ I. Von den Requisiten einer Fraeulein Priorinn.   
A) Sie muss eine Stiftstochter seyn, und also diejenigen Eigenschaften alle besitzen, die im II. Cap. § 1 bestimmt sind. Daneben muss sie den guten Willen und voelligen Vorsatz haben, den ihr vorgeschriebenen Pflichten auf das genaueste nachzukommen.          
B) Sie muss eine Verehrerinn der Religion und Tugend, auch wirksam, sorgfaeltig, unpartheyisch, gerecht, sanftmuethig, uneigennuetzig, streng, wenn es die Umstaende erfordern und gelinde, wenn sie damit dasselbe ausrichten kann, versoehnlich und standhaft seyn, kurz sie muss durch obige und ihnen aehnliche Eigenschaften sich Liebe, Vertrauen und Achtung bey dem Stifte zu erwerben wissen, welches hingegen die Stolze und Ungerechte schwerlich bey ihren Untergebenen finden wird.      
C) Bey der Wahl muss sie wenigsten an 30, aber nicht ueber 60 Jahre alt seyn, auch keinen kraenklichen Koerper haben.   
D) Sollte in Zukunft der moegliche,aber nicht zu vermuthende Fall vorkommen, dass die Herren Curatores und alle Stiftstoechter ueberzeugt waeren, es schicke sich aus ihrer Mitte keine zu dieser wichtigen Stelle; so koennen sie aus den Pensionairinnen oder, wenn auch unter denen keine waere, aus den Ehstlaendischen stiftsmaessigen Fraeulein, eine mit obigen Eigenschaften versehene Person zur Priorinn erwaehlen, auf deren Gluecksumstaende, sie mag reich oder arm seyn, keine Ruecksicht zu nehmen ist, damit das Wohl des Stifts auf keinerley Weise zu leiden komme. Die erste Fraeulein Priorinn kann von den Stiftern erwaehlt werden, oder die Stifterinn kann auch selbst diese Stelle bekleiden, wenn sie will.

§ 2. Was bey der Wahl sowol, als bis dahin zu beobachten ist.
a) Sobald die Herren Curatores erfahren, dass die Stelle der Priorinn auf eine oder andere Art erledigt worden ist, so wird von ihnen, im Fall die

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Priorinn verstorben ist, die ganze Verlassenschaft inventirt und versiegelt, auch zugleich der kuenftigen freyen Wahl ohnbeschadet, eine Vicepriorinn eingesetzt, welche der ganzen Wirthschaft in so lange vorstehet, und die Aufsicht ueber alles hat, auch die ganze Zeit des Vicariats das voellige Ansehen und die Wuerde einer Priorinn bekleidet, nur dass sie den Anzug der wirklichen nicht tragen darf und ihr voriges Zimmer behaelt.        
B) Bey einer schweren Krankheit der Fraeulein Priorinn und besonderes, wenn ihr Tod zu vermuthen ist, muss solches ohne Saeumniss von der Fr. Secretairinn den Herren Curatoren gemeldet werden, damit sie gleich eine Vicepriorinn  bestellen koennen. Sollte die Fr. Priorinn befuerchten, dass durch die Entfernung der Herren Curatoren ein Interregnum entstehen moechte; so traegt sie der Fraeulein Bibliothekairinn oder Secretairinn die Verwaltung in so lange auf, bis eine Vicepriorinn angestellt ist. Ueberrascht sie aber der Tod, dass sie nichts verordnen kann; so ist die aelteste Stiftstochter, die nicht zu den Abgelebten gehoert, eo ipso Vicepriorin, bis eine ernannt ist. Sie kann aber dieses Recht derjenigen, welche ihr folgt, ueberlassen, wenn sie dem Amte nicht gewachsen zu seyn glaubt, und das Wohl des Ganzen vor Augen hat.          
C) Hoechstens vier Wochen nach dem Tode, oder der Abdankung der Fraeulein Priorinn muss zu der Wahl  einer neuen geschritten werden, um die Stelle wieder zu besetzen, wenn nicht ausserordentliche Vorfaelle es hindern. Den Tag der Wahl aber bestimmen die Hrn. Curatores.           
D) Da diese Wahl nie vor dem Begraebnis der Verstorbenen vorher gehen kann; so werden die Herren Stiftsvaeter selbiges so bald als moeglich veranstalten.               
E) An dem bestimmten Wahltage versammlen sich saemtliche Stiftstoechter im Ordenshabit, mit den Herren Stiftsvaetern, des Vormittags um 10 Uhr im Betsaale, als wo alle Wahlen und das Losen geschieht. Einer der Herren Curatoren verlieset den Paragraphen von den Requisiten, und den von den Pflichten und Verrichtungen der Fraeulein Priorinn aus den Statuten, um alle Waehlende aufmerksam auf die Wichtigkeit des Amtes und der Person, die solche Eigenschaften haben soll, zu machen. Er ermahnet alle, jede andere Betrachtung auf die Seite zu setzen, und besondere Freundschaft und Abgeneigtheit zu vergessen, um bloss das Wohl des Stifts zum Augenmerk zu behalten. Er erinnnert sie, dass die Stifter, die durch ihre Portraits hier gleichsam gegenwaertig waeren, den Erfolg oder den Nutzen von allen ihren beschwerlichen Arbeiten dahin verwendet und sich vielleicht dabey manche Bequemlichkeit des Lebens versagt haben, damit lange - lange Zeiten hindurch arme Fraeulein bequem und vergnuegt leben koennten, und dass sie ihnen

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allen itzt gleichsam zuriefen, eine Person zu erwaehlen, die ihre Absicht erfuelle.
F) Die Wahl selbst verrichten beyde Herren Stiftsvaeter, und alle erwachsene Stiftstoechter, die nicht zu der Classe der Kinder gehoeren. Es kann geschehen durchs Ballotiren, durch die so genannte Zifferwahl, oder dass jede Person den Namen der zu Erwaehlenden auf einen Zettel schreibt, wie oben dessen schon erwaehnt worden. Die Mehrheit der Stimmen bestaetigt die Wahl; und sind sie gleich, so hat die, welcher die Herren Curatores die ihrigen gegeben, den Vorzug. Sind die Stimmen der Herren Stiftsvaeter auch getheilt und gleich also alle uebrige; so entscheidet das Los.       
G) So bald nun die Wahl vorbey ist; so setzen die Herren Curatoren den Tag der Installation fest, welches auch der gleichfolgende seyn kann. Zu dieser Feyerlichkeit koennen der benachbarte Adel und andere Personen vom Stande, auch wenn es die Entfernung zulaesst, die Verwandten der Neuerwaehlten eingeladen werden. Wenn alle Gaeste, die man erwartet, im Sprachsaale versammelt sind; so koemmt die neuerwaehlte Fraeulein Priorinn, von der Fraeulein Schatzmeisterin und Fraeulein Bibliothekairinn gefuehrt, und von allen Stiftsfraeulein auch Lehrmeisterinnen begleitet, in den Saal. Nachdem alle Ihren Platz eingenommen haben, so macht ein Stiftsvater die geschehene Wahl der Versammlung bekannt; tritt darauf zu der Fraeulein Priorinn und fragt sie, ob sie dieses Amt in Gottes Namen uebernehmen, und ihm  mit Fleiss und Treue vorstehen wolle? Sie giebt die Versicherung, dass sie es unter goettlichem Beystande thun und sich es immer vollkommener zu thun bestreben wolle. Hierauf werden ihr die aus den Statuten ausgeschriebenen Pflichten einer Priorinn vorgelesen und vorgelegt, und sie unterschreibe sie. Nachdem begiebt sie sich, von den beyden Fraeulein, die sie einfuehrten, begleitet, in der Priorinn Zimmer, in welchem ihr der Ordenshabit einer Fraeulein Priorinn angelegt wird. Dann koemmt sie in den Sprachsaal zurueck, wo ihr die saemmtlichen Schluessel, und das Inventarium des Vorraths im Stifte von einem Stiftsvater uebergeben wird. Dieser ermahnt denn alle Stiftsfraeulein zur Ehrerbietung gegen die Fraeulein Priorinn; den Lehrmeisterinnen aber, wie auch den saemtlichen Bedienten (die dazu auch versammlet worden) kuendigt er den Gehorsam an. Wenn dies geschehen ist; so treten zuerst die Herren Stiftsvaeter zur Gratulation hinzu, darnach die in Aemtern stehenden Fraeulein, in der Ordnung, wie die Aemter auf einander in den Statuten folgen. Dann treten die Stiftstoechter nach der Anciennitaet ihrer Aufnahme hinzu, wuenschen ihr Glueck, kuessen ihr die Hand und den Mund, und geloben ihr willige Folge. Nach ihnen thun die Fraeulein Pen-

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sionairinnen ein gleiches. Endlich auch die Lehrmeisterinnen. Hierauf empfaengt sie von der uebrigen Gesellschaft die Glueckwuensche. Zuletzt geht man zur Tafel, welche festlich besetzt ist. (Diese Ceremonie kann durch mehr andere Einrichtungen noch feyerlicher gemacht werden. Nur ist immer dabey grosser unnoethiger Aufwand zu vermeiden.)

§ 3. Von dem Ansehen und den Vorrechten der Fraeulein Priorinn.       
a) Saemmtliche Stiftsfraeulein sind ihr Ehrerbietung und Folgsamkeit schuldig und duerfen auf keine Weise es daran ermangeln lassen.               
b) Ohne ihr Wissen und Einwilligung darf nichts von Wichtigkeit in Stiftsangelegenheiten vorgenommen werden. 
c) Sie hat den einen, wie ein Herr Stiftsvater den andern, und die Fraeulein Schatzmeisterin den dritten Schluessel zu dem Archiv, wo die Orginaldocumente und Obligationen des Stifts verwahret werden, in den Haenden und auch einen von der Hauptcassa.            
d) Sie hat die voellige Direction der innern Wirthschaft, und die woechentliche Regierung gschieht nach  ihrer Anweisung.
e) Es stehen alle weibliche Bediente im Stift und der Tafeldecker (wenn einer gehalten wird) unter ihr, so dass sie dieselben annimmt und bey einlaufenden Klagen, wenn sie bey der Untersuchung findet, dass es geschehen muss, sie abschafft.        
f) Unter ihrer besonderen Aufsicht stehen die jungen Fraeulein, die im Stifte unterrichtet werden, und sie bestimmt die Art und Weise des Unterrichts.      
g) Sie beruft auch mit den Herren Stiftsvaetern gemeinschaftlich die Lehrmeisterinnen des Stifts, und von ihnen werden sie gemeinschaftlich wieder entlassen.              
h) Sie hat endlich mit den Herren Stiftsvaetern zusammen das unbezweifelte Recht, eine Stiftstochter von dem Genuss diese Instituts nach Cap. II § 15. in dem Fall zu excludiren, wenn auf keine Art eine Besserung erhalten werden kann.

§ 4. Von Ihren Pflichten und Verrichtungen.          
a) Sie hat mit aller moeglichen Wachsamkeit und Fleiss fuer die Erhaltung einer bestaendigen guten Ordnung, der Ruhe, der guten Sitten, der Gottesfurcht, und alles dessen, was zum Bessten des Stifts sowol, als der Stiftsfraeulein, und der Ehre Gottes gereicht, zu sorgen.             
b) So bald sie eine Unordnung bemerkt; so hat sie derselben sogleich und ohne Aufschub, nach der in Haenden habenden Gewalt, zu steuren, und darf keine Missbraeuche einreissen lassen.              
c) Sie hat allen Schaden, der dem Stifte, wenn es auch nur aus

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Nachlaessigkeit entstehen koennte, zu verhueten.
d) Besonders aber muss sie darauf sehen, dass ueber alles dasjenige gehalten werde, was in den Statuten verordnet und wie es verordnet ist.
e) Sie muss nach der vernuenftigsten Ersparnis die Einrichtung machen, dass zu dem, was unumgaenglich aufgehen muss, nichts  unnoethig verthan und verschwendet werde. Kurz in allem, was die Wirthschaftlichkeit betrifft, muss sie es so einrichten, dass mit wenigem viel bestritten, und dass zu jedem das vollkommen Hinlaengliche, und nichts ueberfluessiges gegeben werde. Denn, wenn die Fraeulein Priorinn nicht auch die oeconomische Hausmutter zu seyn sucht, so wuerde sie das Lob einer vollkommenen nicht erhalten koennen. Man hat ihr die Gelegenheit dazu dadurch gelassen, dass man dem Oeconomen nicht alles aufgetragen hat, was zum Bessten des Stifts dienet. Zum Beyspiel dienet der Obstgarten. Wenn man alles, was selbiger traegt, blos verzehren, und was die Beduerfnisse nicht erfordern, verderben oder unveraeussert lassen wollte; so koennte es bey guten Jahren vielleicht ein betraechtlicher Verlust seyn. Daher wird dieses und die Vergroesserung, auch Anlegung eines neuen Gartens, ihrer Sorgfalt anempfohlen.           
f) Sie wird sich als eine liebreiche und wahre Mutter gegen alle Bewohner des Stifts, wenn gleich einige nicht ohne in die Augen fallende Unvollkommenheiten sind, und besonders gegen die Stiftsfraeulein betragen, die Unpartheilichkeit nie vergessen, wenn bey einem Zwiste die am wenigsten beguenstigte Recht, und ihr Liebling Unrecht hat. Bey etwanigen Fehlern wird sie mit Liebe und Guete jede zu ihrer Pflicht anweisen, und alle Haerte so viel wie moeglich vermeiden, auch ueberhaupt in allen Stuecken, besonders  in einer vollkommenen Gottesfurcht, ihnen ein gutes Muster der Nachahmung geben.            
g) Die Sorgfalt fuer die Unterweisung der jungen Fraeulein muss ihr liebstes Geschaefte seyn und dahin gehen, dass selbige in der wahren Verehrung Gottes unterrichtet werden (welche nicht in Beobachtung einiger Gebraeuche, Formeln und Ceremonien allein, auch nicht in Worten ohne That bestehet), dass ihr sittlicher Caracter wohl ausgebildet werde, dass sie in Geschicklichkeit und Fleiss in Handarbeiten sich hervor thun, dass sie so zeitig, als es seyn kann, sich in allem dem wohl ueben, was ein in Function stehendes Fraeulein wissen muss und zu verrichten hat, damit die dermaleinst vollkommene Priorinnen werden koennen, und jede in dem, was sie zu thun hat, anzuweisen verstehen.
h) Sie laesst denjenigen jungen Stiftsfraeulein, die ein vorzuegliches Talent zu Sprachen, zur Musik zum Zeichnen und zu andern dem schoenen Geschlecht anstaendigen und nuetzlichen Wissenschaften, als Geschichte, Erdbeschreibung, Dichtkunst,

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Redekunst und Rechnen, auch Handarbeiten, einen so vollkommenen Unterricht geben, dass sie kuenftig selbst Lehrerinnen im Stifte seyn koennen. Denn, wenn ein Stiftsfraeulein die Gouvernantinn seyn kann; so wird sie als die erste Person nach der Fraeulein Priorinn angesehen, und erhaelt ueberdem einen Gehalt, der sonst fremden gegeben worden. Dieses zu erhalten, kann man der fremden Gouvernantinn, die ein oder mehrere Stiftstoechter so gebildet, eine Pension geben, wenn sie auch nicht Zeitlebens im Stifte bleiben wollte.
i) Sie sorgt dafuer, dass der Muessiggang aus dem Stifte verbannet bleibe, und alle sich nuetzlich beschaeftigen. Daher laesst sie auch die Maegde im Stifte nicht muessig gehen, als welche dazu vieles selbst machen koennen, was zu ihrer Ablohnung erfordert wird.
k) Sie hat nicht allein ein genaues Verzeichniss von allen Stiftsmobilien, sondern uebersieht auch von Zeit zu Zeit, in welchem Zustand jedes ist, damit, was abgaengig werden moechte, zeitig wieder angefertigt werden koenne. Sollte sie dabey bemerken, dass einiges durch schlechte Schonung oder ueble Behandlung zu fruehe unbrauchbar wird; so unterlaesst sie nicht, denen eine Zurechtweisung zu geben, die daran Schuld sind, und sucht vorzubeugen, dass kein solcher Fehler wieder begangen werde.      
l) Da die Stiftstoechter alle Beduerfnisse vom Stifte, und zwar durch ihre Haende erhalten; so sorgt sie, dass alles dazu in Quantitaet angeschafft wird, wenn der alte Vorrath von diesem oder jenem in der Vorrathskammer zu Ende gehen will, weil der Ankauf im Kleinen mehrentheils theurer ist.      
m) Die Schonung der Kleider, des Geraeths, ja selbst des Lichts, das in der Zelle brennt, mit einem Worte alles sucht sie den Stiftstoechtern als eine hoechst noethige und verdienstliche Pflicht anzupreisen, besonders den jugendlichen, damit sie alle davon ueberzeugt bleiben. Und da sie Mutter im Stifte ist; so wird sie wissen, wie ein Kleidungsstueck, welches fuer eine grosse Tochter nicht mehr brauchbar ist, einer kleinen nuetzlich werden kann.      
n) Von dem Zustande der Casse muss sie allezeit benachrichtigt seyn, weil sie einen Schluessel dazu hat; auch die Buecher und Rechnungen muessen ihr alle offen seyn, wenn sie sie sehen will; und sie haelt auf deren ordentliche Beschaffenheit. Daher kann sie allemahl die gelegenste Zeit wissen, wenn was nuetzlich ausgegeben werden kann. Doch unternimmt sie niemahls grosse Ausgaben, die an hundert Rubel steigen, ohne vorhero die Herren Stiftsvaeter darueber consulirt zu haben, deren Rath immer dem Stifte nuetzlich werden kann. Die Casse, als die Quelle alles dessen, was das Stift braucht, bleibt ihr also besonders empfohlen.       
o) Dass alle Protocolle in anstaendiger Ordnung gefuehrt und aufgehoben werden, verdient ihre Aufmerksamkeit, weil daraus die Nachwelt ersieht, welcher

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Priorinn Regierungszeit die nuetzlichste und gluecklichste fuer das Stift war.
p) Und da es ohnmoeglich ist, ueber alles und jedes Vorschriften zu geben; so ist der immer mehr ausgebreitete Nutzen der Stiftungswohltat das grosse Ziel, wohin alle guten Priorinnen zu gelangen trachten muessen.
q) Bey feyerlichen Gelegenheiten und Festen, die zu Ehren des Stifts gegeben werden, ladet die Fraeulein Priorinn mit den Herren Stiftsvaetern ein, und ordnet alles dazu an.
r) Wenn mancherley Aufsichten und Arbeiten zu gleicher Zeit abzuwarten sind; so sind die in Function stehenden Stiftstoechter Gehuelfinnen der Fraeulein Priorinn.

§ 5. Von ihrem Gehalte, Wohnung und einigen andern Sachen.
a) Ihr Gehalt ist zweyhundert Rubel jaehrlich, und wird ihr selbiges nach Anweisung der Herren Stiftsvaeter in zwey Terminen ausgezahlt.
b) Von diesem Gehalte erkauft sie alles, was sie zu ihrer Bekleidung braucht, und nimmt nichts dazu aus der Stiftscasse. Das uebrig bleibende Geld ist das Ihrige und sie kann damit nach Wohlgefallen schalten und walten.
c) Ausser der Kleidung hat sie alles im Stifte frey zu geniessen und zu gebrauchen.
d) Zu ihrer Wohnung hat sie ein Schlafzimmer, ein Maegdezimmer, ein Vorzimmer, und das Sprachzimmer ist jederzeit, wenn keine Stiftssachen darinne abzuthun sind, ihr Gesellschafts­zimmer.
e) Zu ihrer Bedienung werden ihr zwey Maegde bestanden, welche gleich den andern vom Stifte belohnt werden.
f) Der erst Ordenshabit, welchen die Fraeulein Priorinn vom Stifte erhaelt, ist in Ansehung der Form und Besetzung etwas anders und reicher, als der der Fraeulein, damit er sich von den uebrigen unterscheide; in der Farbe aber sind sie gleich. Nach dem Schnitt oder in der Form , wie die Kleider nun gegeben werden, muessen sie in allen Zeiten gemacht seyn, sowol die taeglichen als die Ordenshabite. Nur der Fraeulein Priorinn und den abgelebten Stiftstoechtern steht es frey, nach ihrer Bequemlichkeit alltaeglich zu gehen, wenn ihnen der Stifshabit unbequem wuerde.
g) Der Tag, an welchem die Fraeulein Priorinn gewaehlt worden, wird jaehrlich, doch nicht praechtig, gefeyert.

§ 6. Was von ihr im Falle der Abwesenheit oder einer Krankheit zu beobachten sey.
Da es eine Pflicht der Fraeulein Priorinn mit ist, bey allen gemeinschaftlichen Verrichtungen gegenwaertig zu seyn, als beym Morgen- und Abendge-

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bet, beym Sonn- und festtaeglichen Gottesdienst, bey der Tafel u.s.w. und da sie auch darauf zu sehen hat, dass niemand ohne Noth aus den Versammlungen weg bleibe; so ist es erforderlich, dass, wenn sie entweder durch Krankheit behindert wird, oder dringende Umstaende sie noethigen, einige wenige Tage sich aus dem Stifte zu entfernen, dass sie eine von den dreyen in Function stehenden Fraeulein in so lange dazu ernenne, ihre Stelle zu vertreten, welches aber sodann den Herren Stiftsvaetern, oder doch einem von ihnen in Zeiten gemeldet werden muss.

§ 7. Von ihrer Abdankung oder Austritt, und was nach ihrem Tode zu beobachten.
a) Es kann die Stelle der Priorinn vacant werden, wenn sie ihr Amt freywillig niederlegt, um sich ganz aus dem Stifte zu begeben, oder wenn Alter und Schwachheit sie dazu noethiget. In beyden Faellen ist sie verbunden, solches 3, wenigstens 2 Monate vorher den Herren Curatoren zu melden, damit gegen die Zeit zu einer neuen Wahl geschritten werden koenne. Die Abdankung geschieht mit aller Feyerlichkeit.  Sollte sie aber beym Alter und Schwachheit nicht so voellig resigniren wollen, dass sie auch den Titel ablegte; so stehet es ihr frey, den Titel der Priorinn beyzubehalten. Da denn die Herren Stiftsvaeter mit den Stiftstoechtern gemeinschaftlich eine Vicepriorinn erwaehlen. Diese bekoemmt die halbe Gage der Priorinn, und die andere behaelt die andere Haelfte bis an ihren Tod. Indessen ist die Vicepriorinn deswegen nicht auch die Nachfolgerinn der alten, wenn diese stirbt; sondern es geschieht eine ganz neue Wahl, welche sodann nicht leicht sie vorbey gehen duerfte, wenn sie als Vicepriorinn ihrem Amte treu und gehoerig vorgestanden hat. Die alte bleibt aber in ihrem Zimmer, bis an ihren Tod.
b) Geschieht es durch ihre etwanige Eheverbindung; so gilt in diesem Falle alles, was Cap.II. § 14. bey Verheirathung der Stiftstoechter gesagt worden ist.
c) Sollte es sich jemahls zutragen, dass allgemeine Klagen ueber die Fraeulein Priorinn gefuehrt wuerden, dass Haerte und Ungerechtigkeit, oder offenbare Vernachlaessigung ihrer Pflichten, oder eine unglueckliche Neigung zum Trunk oder noch zu etwas Aergern sie unfaehig zu ihrem Amte mache; so werden die Herren Curatores ihr darueber mit Liebe und Ernst Vorstellungen thun, und wenn dieses nichts hilft, so muessen sie, damit der gute Ruf des Stifts nicht leide, den Herrn Ritterschaftshauptmann und ein Paar der rechtschaffensten Maenner des Landes erbitten, zur Untersuchung der Klagen nach dem Stifte zu kommen. Und

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wenn die Klagen als wolgegruendet erfunden werden; so danken diese fuenf Herren sie ab. Schon die Meynung von dreyen ist dazu hinlaenglich, wenn sie es auch nicht alle waeren.
d) Letztlich wird diese Stelle durch den Tod erledigt. Und denn gilt hier alles das, was bey dem Tode einer Stiftstochter gesagt worden ist. Nur wird das Begraebniss feyerlicher seyn und eine Leichenpredigt gehalten werden. Ihr Portrait wird im Stifte aufgestellt, wenn sie es verlangt hat, und wenn sie eines hat mahlen lassen. Die Trauer im Stifte wird zwey Monate getragen.

Capitel IV.

Von den Herren Stiftsvaetern oder Curatoren, ihren Requisiten, ihrer Wahl, Functionen und Ansehen.

§ 1. Von den Eigenschaften eines zu dieser Wuerde tuechtigen Subjects.
A) Ein Stiftsvater muss aus einer adeligen Familie seyn, die zu der Ehstlaendischen Bruederschaft gehoeret,
B) ein Freund der Religion und also unstraeflichen Wandels, gerecht, wirksam, uneigennuetzig, menschenfreundlich und friedfertig seyn; kurz, er muss alle Eigenschaften eines rechtschaffenen Mannes haben.
C) Er muss, wo moeglich, in allen Theilen der Landwirthschaft erfahren und
D) von reiflichem, maennlichen Alter seyn.
E) Er muss in keinen Kronsdiensten stehen, noch mit andern Geschaeften zu sehr ueberhaeuft seyn, weil seine Gegenwart im Stifte sehr oft erfordert wird.

§ 2. Von der Wahl und Anzahl der Herren Stiftsvaeter.
Niemand kann zu der Annahme der Wuerde eines Stiftsvaters gezwungen werden. Jedoch, da es der rechtschaffenen, geschickten Maenner in Ehstland noch viele gibt; so kann man in der Zuversicht seyn, immer gute Curatores des Stifts zu finden. Es sind Wuerden und Reichthum der Gegenstand nicht, worauf man bey der Wahl sieht; sondern der patriotische, in allen Arten der Haushaltungs wissenschaft erfahrenste, Bemuehungen nicht scheuende Mann ist es, den man hierzu sucht, und den kann man in allen Gluecksumstaenden finden. Und da das Stift zum Bessten des Ehstlaendischen Adels errichtet ist; so wuerde er selbst einem Theil seiner Kinder das Brod nehmen, wenn er diese Stiftung vernachlaessigte. So tief wird wahrscheinlich der

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Geist der Bruederschaft nie hinab sinken, sondern wird diese gut gemeinte Anstalt zu erhalten, und gemeinnuetziger zu machen trachten! Daher hofft man, dass sich niemand, der die Eigenschaften zum Stiftsvater hat, entziehen wird, die Wahl anzunehmen, und dass der, den sie nicht trifft, sich selbst anbieten werde. Die ganze Bruederschaft wird auch so billig seyn, und den wohldenkenden Mann, der diese Bemuehung uebernimmt, von allen andern Landesdiensten befreyen, wenn er es verlangt, und wird das Amt eines Stiftsvaters als einen Dienst, der dem Lande wichtig ist, ansehen. Auch ist zu glauben, dass niemand dawider etwas habe, sondern es vielmehr wuensche, dass den Capitalien des Stifts das Vorrecht, sie als die privilegirtesten anzusehen, gegeben wuerde, damit die ohnedem mit Bemuehungen beschwerten Herren Stiftsvaeter weniger Sorgen ihrentwegen haben moechten. Denn je reicher das Stift wird, desto mehr arme Toechter der Mitbrueder haben Brod!
Zwar kann das Stift ihren Vaetern die Muehwaltung mit nichts belohnen, als dass die armen Kinder fuer sie beten; aber der rechtschaffen denkende, christlich gesinnte Mann ist gewohnt, gute Handlungen auszuueben, ohne die Belohnung hier zu erwarten. Und ist die Welt so gerecht, ihn fuer seine uneigennuetzigen, menschenfreundlichen Bemuehungen zu loben; so isst er mit ihr und sich zufrieden.
A) Zwey Herren Stiftsvaeter oder Curatores werden bey diesem Stifte allemahl erfordert. Daher wenn einer abgehen will; so thut er solches nicht eher, als bis man einen Nachfolger in seine Stelle ausfuendig gemacht hat.
Wenn ein Stiftsvater zu erwaehlen ist; so berathschlagen sich beyde Herren Curatores, die Fraeulein Priorinn und saemmtliche erwachsene Stiftstoechter darueber. Auch kann man, wenn es noethig scheint, den Herrn Ritterschaftshauptmann bitten, ein tuechtiges Subject vorzuschlagen. Derjenige, auf den die mehresten Stimmen fallen, und, wenn sie gleich sind, der, welcher von dem Herrn Ritterschaftshauptmann vorgeschlagen ist, ist erwaehlt. Es wird der an ihn auszufertigende Brief, ihn zu Uebernehmung dieser Wuerde und Bemuehungen  zu erbitten, von allen, die ihn erwaehlt haben, unterschrieben. Auch melden die Herren Curatores ihm den Tag, der zu seiner Einfuehrung bestimmt ist, wenn er keinen andern Tag dazu wuenscht.
C) Seine Einfuehrung geschieht, ausser dass der Oeconom mit dabey gegenwaertig seyn muss, ohngefaehr mit eben den Solennitaeten, die bey Einfuehrung einer Fraeulein Priorinn angemerkt worden, mit Ankuendigung des Gehorsams, Uebergebung der Schluessel u.s.w.. Und er giebt sein adeliches Ehrenwort anstatt eines Reverses, nach seinem bessten Wissen und Gewissen, und als ein recht-

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schaffener Mann handeln zu wollen, auch sich das Wohl des Stifts angelegen seyn zu lassen, nachdem ihm der 3te § des IVten Capitels dieser Statuten vorgelesen worden. Man kann auch noch mehrere angesehene Gaeste zu dieser Solennitaet erbitten.

§ 3. Von dem Ansehen und Vorrechten der Herren Stiftsvaeter, und ihren verschiedenen Verrichtungen und Pflichten.
a) Die Fraeulein des Stifts sind ihnen alle Ehrerbietung und Folgsamkeit schuldig, gleich als wenn sie ihre natuerlichen Vaeter waeren, zumahl da sie ohnentgeltlich die Bemuehungen fuer sie haben. Der Oeconom muss sie als Herren des Gutes betrachten, und alle Bediente und Bauren des Stifts muessen ihnen gehorchen.
b) Wenn sie in Stiftsangelegenheiten nach dem Stifte kommen; so sind sie gar nicht als Fremde zu betrachten, sondern sie, ihre Bediente und Equipage sind im Stifte zu beherbergen und zu unterhalten. Zum Quartier sind Zimmer in dem Hause, in welchem der Oeconom wohnt. Die Unkosten der Reise werden aus dem Stifte bezahlt, wenn sie mit der Post gekommen sind, weil man nicht befuerchten darf, dass Vaeter auf  Kosten ihrer Kinder zu viel ausgehen lassen werden.
c) Der Oeconom muss, wie im I. Cap. dieser Statuten bereits erwaehnt worden ist, ihnen und der Fraeulein Priorinn jaehrlich, oder wenn es auch oefter verlangt wird, von allem genaue Rechnung geben, und darf nur mit ihrem Vorwissen die Producte des Gutes zu Gelde machen.
d) Die Herren Stiftsvaeter, als edel denkende, rechtschaffene, gut gesinnte Patrioten, werden nicht allein dahin bedacht seyn, dass gute Ordnung im Stifte herrsche, dass die aeussere und innere Wirthschaft ohne ueberfluessigen Aufwand und nuetzlich gefuehrt werde, und dass alles in seinem Wesen bleibe, wie es eingerichtet worden ist. Sie werden hauptsaechlich dahin trachten, dass nach den Wuenschen und Willen der Stifter, die Nuetzlichkeit des Stifts immer von Zeit zu Zeit ausgebreiteter werde, das ist, dass man mehrere Stiftstoechter aufnehmen koenne, so bald die Einnahmen es erlauben. Und da zu hoffen ist, dass bey guter Wirthschaft sich die Revenueen des Gutes vermehren werden; so werden sie weislich veranstalten, dass das, was nicht nothwendig zur Consumtion aufgehen muss, zu Gelde gemacht und dieses sicher auf Zinsen gegeben werde. Wenn dem Stifte Gelder durch milde Stiftungen oder Vermaechtnisse zufliessen; so thun sie ein gleiches, und legen die eingekommenen Zinsen wieder auf Zinsen. Sobald denn das Vermoegen des Stifts so gross geworden ist, dass eine Stiftstoch-

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ter mehr gehalten werden kann; so nimmt man in der Anzahl Eine mehr auf.
e) Ihr Rath und ihre Huelfe wird in allen Angelegenheiten des Stifts von Wichtigkeit ganz unentbehrlich seyn, wo lauter Frauenzimmer, die vieler Sachen unkundig sind, sich nicht moechten anders helfen koennen. Daher halten sie jaehrlich zweymahl Visitation. Wenigstens bey einer von diesen sind beyde Herren Curatoren zugleich gegenwaertig, und lassen sich von allem und jedem die genauesten Nachrichten geben, um eingeschlichenen Fehlern abhelfen zu koennen, und bessere Ordnung einzufuehren, wenn es noethig seyn sollte. Besonders halten alsdann die Lehrerinnen der Jugend eine Pruefung ihrer Zoeglinge, damit die Herren Curatores von ihrer Geschicklichkeit und dem Fleisse, den sie anwenden, urtheilen und Lob oder Tadel vertheilen koennen.
f) Zu dem Archiv der Documente hat einer der Herren Curatoren einen Schluessel, aus welchem nie ein Document oder Schuldverschreibung heraus genommen wird, als wenn alle diejenigen, welche Schluessel dazu haben, gegenwaertig sind; dessgleichen auch zu der Hauptcasse, als in welcher wenigstens der Nothpfennig des Stifts immer vorraethig liegt, bey dessen Eroeffnung ebenfalls alle diejenigen gegenwaertig sind, die dazu Schluessel haben. Die kleine Casse ist den unter Haenden der Fraeulein Priorinn und Schatzmeisterinn; doch werden auch davon die Rechnungen, so wie alle Cassaconto`s und Protocolle bey der halbjaehrigen Visitation aufs genaueste von ihnen revidirt, damit sie von allen Ausgaben, und deren Nuetzlich- und Unnuetzlichkeit benachrichtiget sind.
g) Einen Hauptvorrath zu Kleidungsstuecken oder dergleichen fuer die Stiftstoechter anzuschaffen, oder wenn sonst zu etwas noethigem betraechtliche Summen ausgegeben werden muessen, kann nur nach dem Gutachten der beyden Herren Curatoren und der Fraeulein Priorinn geschehen.h) Fuer die Sicherheit der Capitalien, und dass die eingegangenen Zinsen, so bald nur moeglich, wieder auf Zinsen ausgegeben werden, sorgen die beyden Herren Curatores gleich eifrig, und ohne Ingrossation auf Kosten des Geldnehmers, wuerde es ein Risque fuer denjenigen Herrn Curator seyn, der Geld ausgiebt. Daher haben sie in Absicht unsicherer oder auch nur unsicher scheinender Glaeubiger und schlechter Bezahler allemahl freye Haende, ihnen das Geld aufzukuendigen, und sie auszuklagen, wenn es noethig ist.i) Wollen die Herren Curatores, um gegen alle kuenftige etwanige Nachrede oder Nachrechnung gesichert zu seyn, ihre gefuehrte Rechnungen nach einigen Jahren, oder wenn einer abgehen will, dem kaiserl. Landwaisengerichte zur Revision uebergeben und sich ueber ihre wohlgefuehrte Wirthschaft ein Zeugniss ge-

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ben; so traegt in solchem Fall das Stift die etwanigen Gerichtskosten.
k) Wenn die Stiftstoechter von ihrem Erwerb und Ersparniss etwas auf Zinsen zu geben haben; so werden die Herren Stiftsvaeter so guetig seyn und es unter ihre Besorgung nehmen, dass es sicher Nutzen tragen koenne. Doch werden die Rechnungen ueber des Stifts Gelder, von diesen abgesondert, gefuehrt.
l) Wenn liegende Gruende, besonders solche, die dem Mangel an Heu und Holz bey Finn abhelfen koennen, in der Naehe des Stifts fuer ihren wahren Werth zu Kauf zu erhalten seyn wuerden, und die derzeitigen Capitalien des Stifts solches erlauben; so werden die Herren Curatores sehr wohl thun, sie zu dessen Besten zu erkaufen.
m) Wenn, da Gott vor sey! unruhige Nachbaren, oder sonst jemand, das Stift in Weitlaeuftigkeit und Processe ziehen, oder die Grenzen und Gerechtsame desselben beeintraechtigen wollte; so werden die Herren Curatores sich der Sache bestmoeglichst annehmen, sie ausfuehren, und den Unterhalt der armen Person, dazu Finn und feine Dependenzien der Grund sind, bestmoeglich zu sichern suchen.
n) Wenn eine Stiftstochterstelle ledig wird; so meldet einer der Herren Curatoren solches der zunaechst in der Anwartschaft stehenden Person, zu Folge ihres Aelterthums durchs Losen vid. Cap. II, § 3.. Geschiehet es aber mit einer Stelle, die zu der Stiftung der Familie von Toli gehoert; so wird die Anzeige davon dem derzeitigen Herrn Ritterschaftshauptmann gethan, und man verfaehrt so, wie oben Cap. II, § I 3, erwaehnet worden ist.
o) Bey allen Feyerlichkeiten haben die Herren Curatores mit der Fraeulein Priorinn die Anordnung und Einrichtung zu machen, weswegen die Gegenwart wenigstens des Einen von ihnen nothwendig ist.
p) Da man niemanden ins Herz sehen, und es sich in dem Lauf von Jahrhunderten zutragen koennte, dass ein Stifsvater ein Boesewicht wuerde, und das Gegentheil von dem thaete, was ein guter Curator thun soll, auf Zureden seines Herrn Collegen und auf Bitte der Fraeulein Priorinn aber es nicht unterliesse, auch, nicht abgehen wollte, sondern erwartete, dass es durch Zwang geschehe, auch was er etwa von Geldern des Stifts an sich gerissen haette, nicht heraus geben wollte; so kann sein Herr College nebst der Fraeulein Priorinn, von dem Herrn Generalgouverneur des Herzogthums, directe Schutz und Huelffe erbitten. Das Eigenthum der Huelflosen zu retten und ihn von dem Amte auszuschliessen, erbittet man den Herrn Ritterschafts-hauptmann, der die ganze Bruederschaft im Kleinen vorstellt, und vier rechtschaffene Edelleute, wenn er nicht gutwillig weicht.
q) Wenn ein Stiftsvater sich besonders zum Bessten des Stifts verwendet;

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so wird solches nicht blos aus Dankbarkeit in den Protocollen sorgfaeltigst bemerkt, sondern wenn einst in der Nachkommenschaft eines so verehrungswuerdigen Mannes arme Fraeulein sind; so verfaehrt man bei Wahlen zu Stiftstoechtern mit ihnen, wie von denen aus Rennenkampf- und Tiesenhausenschen Familien festgesetzt ist.
r) Wenn ein Stiftsvater waehrend der Fuehrung seines Amtes stirbt; so legt das Stift auf 3 Monate die Trauer an, stirbt er, nachdem er abgegangen ist, auf 3 Wochen. Hat er es verlangt oder wenigstens nicht verbothen, so wird sein Portrait im Betsaale des Stifts aufgestellt.
s) Sein College waehlt mit der Fraeulein Priorinn und den Stiftstoechtern seinen Nachfolger.

Capitel V.

Von den Stiftsfraeulein oder Pensionairinnen.
Da die Absicht der Stifter dieses Instituts dieser war, auch solche Fraeulein des Ehstlaendischen Adels und die mit ihnen in Bruederschaft stehen, darinne aufzunehmen, die zwar Vermoegen besitzen, sich die nothwendigen Beduerfnisse dieses Lebens und Wohnungen zu verschaffen, theils aber geneigt sind, eine stille Lebensart zu fuehren, theils anderer Ursachen wegen, entweder auf eine Zeitlang oder auf immer im Stifte zu wohnen wuenschen; so ist die Einrichtung denn auch dergestalt getroffen worden, dass obige Absicht hinlaenglich erreicht werden kann, indem nicht allein erwachsene Personen, sondern auch Kinder, jedoch nicht unter zwoelf Jahren, hier aufgenommen werden. Zur Wohnung ist fuer die ersten Zeiten, und bis das Stift voellig mit Stiftstoechtern besetzt wuerde, hinlaenglicher Raum, kann aber auch kuenftig vergroessert werden, wenn die Umstaende und das Vermoegen des Stifts es erlauben. Von der ganzen Verfassung dieser Anstalt, und was sonst dabey zu beobachten ist, davon handeln nachstehende Puncte.
a) Will sich ein erwachsenes Fraeulein einschreiben lassen, oder wuenschen Aeltern, Verwandte und Vormuender, einem Kinde die noethige Erziehung zu verschaffen; so wird solches der Fraeulein Priorinn schriftlich gemeldet, welche die Herren Curatores sofort davon benachrichtiget. Haben diese nun den Termin zur foermlichen Aufnahme angesetzt; so meldet sie solchen dem Fraeulein, oder ihren Aeltern, Verwandten und dann kann, wenn die aufzunehmende Person es verlangt, alles das beobachtet werden, was bey Aufnahme einer Stiftstochter gesagt ist. Es ist aber eben so vollkom-

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men und gueltig, wenn die einzufuehrende Person an dem  angesetzten Tage in Gesellschaft ihrer Begleiter erschienen ist, dass sie im grossen Saale von der Fraeulein Secretairinn und Fraeulein Bibliothekairinn empfangen, der Fraeulein Priorinn in dem Gesellschaftszimmer zugefuehret und vorgestellet wird, welche darauf alle Conventualinnen zu sich berufen laesst, die Neuangekommene der ganzen Versammlung vorstellt, ihr eine Ermahnung giebt, sich den Statuten des Stifts gemaess zu betragen, und eine Abschrift baldmoeglichst davon zu nehmen. Die Novice tritt zu der Fraeulein Priorinn, kuesset ihr die Hand und den Mund, und verspricht Folgsamkeit und Gehorsam; darauf wird sie von den zwey Fraeulein in das fuer sie bereitete Wohnzimmer gefuehret. Nachdem sie davon Besitz genommen hat, koemmt sie zur Gesellschaft zurueck, und empfaengt die Glueckwuensche von der Gesellschaft. Ihre Begleitung wird zur Mittagstafel behalten.
b) Ein Stiftsfraeulein oder Pensionairinn zahlet dem Stifte jaehrlich fuer sich hundert und zwanzig Rubel, und fuer die aufwartende Magd zehn Rubel, und zwar beym Eintritt gleich die Haelfte, und alle halbe Jahr die andere Haelfte praenumerando. Dafuer geniesset sie
1) freye Wohnung, Feuer, Licht, und alles uebrige gleich den Stiftstoechtern. Nur muss sie ihr eigenes Bettzeug mitbringen, welches auch das ihrige bleibt, so, dass sie es mitnehmen kann, wenn sie austritt.
2) Die Bekoestigung an der Stiftstafel.
3) Aufwartung von einer Magd, die allemahl zwey Fraeulein bedient. Will sie eine eigene Magd halten; so steht es ihr frey, nur dass dieselbe auch alsdann ihre Gesellschafterin mit bedienen muss, sonst wuerde der Maegde zu viel. In diesem Falle zahlt sie die zehn Rubel wegen der Aufwartung nicht, und ihre Magd wird, wie alle andere, vom Stifte gespeiset und gekleidet. Die Maegde, sie seyn eigene oder dem Stifte gehoerig, stehen alle unter dem Befehl der Fraeulein Priorinn.
4) Freye Equipage, zur Kirche zu fahren und Visiten in der Naehe zu geben. Zu etwanigen Reisen muss sie selbst Rath schaffen.
5) Freyen Unterricht in den fuer Damen schicklichen Wissenschaften und Handarbeiten, sie sey erwachsen oder nicht. Nur muss sie den Tanzmeister bezahlen, wenn sie von ihm unterrichtet seyn will, weil der fuer jede Person besonders, und nicht ueberhaupt, wie andere Lehrer, vom Stifte bezahlt wird.
c) Die Kleidung muss sie sich selbst anschaffen. Diese wird aber im Stifte den Stiftstoechtern vollkommen aehnlich getragen; folglich traegt sie auch keine Praeriosa an sich. Ausserhalb dem Stifte hat sie Freyheit, zu tragen, was sie will.
d) Die erwachsenen Fraeulein Pensionairinnen werden

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sich nach eigenem Gefallen mit allem dem, was nuetzlich ist, beschaeftigen, und, wie oben gesagt, selbst den Unterricht der Lehrerinnen geniessen. Kinder aber machen sich beydes nach der Anordnung und Vorschrift der Fraeulein Priorinn, ihrer Aeltern oder Vormuender zu Nutze. Und da die Fraeulein Priorinn nach Cap. I 1, § 4, Lit g., die besondere Verpflichtung hat, sich die Erziehung derselben besonders angelegen seyn zu lassen; so haben alle diejenigen, denen das Wohl der Ihrigen, oder ihrer Pupillen am Herzen liegt, und deren Umstaende keine Gouvernante zu halten erlauben, hier zu guter Erziehung und noethigem Unterricht fuer wenige Kosten die besste Gelegenheit.
e) Will eine Pensionairinn nicht laenger im Stifte bleiben; so hat sie dazu, wenn sie anders von sich selbst abhaengt, voellige Freyheit. Nur muss sie es der Fraeulein Priorinn wenigstens zwey Monate vor Ablauf des Jahres melden. (Und die Fraeulein Priorinn berichtet es den Herrn Stiftsvaetern.) Ein gleiches geschieht von Aeltern, Vormuendern oder Verwandten des Fraeuleins, wenn sie solche Vorgesetzte hat. Will sie noch vor dem Ablauf des Jahres oder des halben Jahres austreten; so kann doch von den bezahlten Pensionsgeldern daher nichts erlassen werden, weil die Einrichtungen im Stift nach den gewoehnlichen Einkuenften sowohl, als nach den eingegangenen Kostgeldern zu regulieren sind.
f) Bey dem Austritt eines Stiftsfraeuleins aus dem Stifte, kann alles in der Ordnung und Art veranstaltet werden, wie oben Cap. I 1, § 14, von den Stiftstoechtern gesagt worden ist, wenn sie es verlangt. Es kann aber auch ohne die Gegenwart der Herren Stiftsvaeter geschehen. Und die Fraeul. Priorinn macht die Honneurs allein.
g) Wenn ein Fraeulein den Vorsatz fasst, auf immer im Stifte zu bleiben, und den Herrn Curatoren die Sicherheit verschafft, dass das Stift, solange sie lebt, jaehrlich hundert und achtzig Rubel von dem Ihrigen bekommt; so ist sie als Stiftstochter zu betrachten, und wird zu allen Wahlen mit gezogen. Sie kann auch selbst zur Priorinn erwaehlt werden, wenn sie die noethigen Eigenschaften dazu besitzet.
h) Ein jedes Stiftsfraeulein, wenn es nicht unter der Gewalt ihrer Aeltern oder Vormuender stehet, und die noethigen Jahre dazu hat, hat das Recht, gleich einer Stiftstochter, ueber ihr erworbenes Vermoegen und Mobilien eine testamentarische Verfuegung zu machen. Im Fall sie aber dieses nicht machte, faellt ihr hinterlassenes Eigenthum ihren naechsten Erben anheim, und wird sogleich nach ihrem Tode ein Verzeichniss darueber von der Fraeulein Secretairinn gemacht, welches nebst dem Ersuchen, die Erbschaft abzuholen, den Verwandten ueberschickt

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wird. Im Fall sie Schulden hinterlassen hat, muessen diese vorzueglich getilgt werden; und dazu haelt man so viel von ihrer Verlassenschaft an. Das Begraebnis wird darauf von den Herrn Curatoren, so bald sie von dem Todesfalle durch die Fraeulein Priorinn benachrichtigt worden sind, auf eine ehrenvolle Weise veranstaltet, wenn die Verwandten, denen es auch gemeldet werden muss, es nicht besorgen wollen. Wenigstens Ein Herr Curator wird suchen, dabey gegenwaertig zu seyn. Die Begraebniskosten werden von dem hinterlassenen Vermoegen, oder von den Verwandten getragen. Der Leichnam wird in der Stiftscapelle beygesetzt, wenn es die Verwandten wollen, und man traegt 14 Tage die Trauer im Stifte.

Capitel VI.

Von den Lehrmeisterinnen, dem Lehrer, und dem Doctor des Stiftes.

§ 1. Von der Erziehung der Jugend, oder Gouvernantinn der jungen Fraeulein.
a) Es muss eine Erzieherinn der Jugend oder Gouvernanntinn gesucht und angenommen werden, die im Stande ist, den gehoerigen Unterricht im Christenthum, deutschen Lesen und guten Vorlesen, im leserlichen Schreiben, Rechnen, so viel als zu Fuehrung der Rechnung eines in Function stehenden Fraeuleins noethig ist, in der Moral, Geschichte, Erdbeschreibung, in der Franzoesischen und Italiaenischen  Sprache, in der Musik, besonders auf dem Clavier, im Singen, und Zeichnen zu geben. Kann sie dieses alles; so bekommt sie, sie mag viel oder wenig Scholairinnen haben, ausser dem freyen Unterhalte in allem, der Wohnung und einer Magd zu ihrer Bedienung, einen Gehalt, der jaehrlich bis drey hundert Rubel seyn kann. Muessen aber zu obigen Unterrichte zwey Personen gehalten werden; so richtet sich die Gage da- nach. Sie wird von den Herren Stiftsvaetern und der Fraeul. Priorinn gemein- schaftlich erwaehlet und eingesetzt, und kann auch von ihnen gemeinschaftlich erlassen werden. Im Fall sie ihrem Amte bis ins Alter treu vorgestanden hat, und endlich aus Unvermoegen keinen Unterricht mehr geben kann; so bekommt sie, bis zu ihrem Tode, nebst freyer Wohnung einen so vollkommen freyen Unterhalt, als ihn die Stiftstoechter geniessen. Und

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nach ihrem Tode wird sie auf Kosten des Stifts in der Capelle begraben. Wenn eine Gouvernantinn eine oder mehrere Stiftstoechter so gebildet hat, dass sie Gouvernantinn im Stifte seyn kann, und sie will nicht bis zu ihrem Tode im Stifte bleiben; so kann man ihr eine anstaendige, jaehrliche Pension geben, damit sie sich so viel eifriger bestrebe, geschickte Subjecte zu bilden.
b) Wenn eine Stiftstochter die Erzieherinn der Jugend so vollkommen seyn kann, dass keine andere neben ihr zu halten noethig ist; so bekommt sie gleich der Fraeul. Priorinn einen Gehalt von zweyhundert Rubel, wovon sie sich aber selbst kleidet; und sie ist die erste Person nach der Priorinn, der Wichtigkeit ihres Amtes wegen. Muss aber noch neben ihr eine anderes Fraeulein zu oberwaehntem Unterricht gehalten werden; so bekommt jede 60 Rubel Gehalt, und die Kleidungsstuecke einer Stiftstochter frey. Der Gehalt wird ihnen gegeben, weil sie keine Zeit haben werden, sich etwas zu erwerben.

§ 2. Von der Unterweiserinn der Jugend in Handarbeiten und andern Geschicklichkeiten in der Oeconomie.
a) Hierzu nimmt man eine Person an, die im Stande ist, einen guten Unterricht in allen weiblichen Handarbeiten als Stricken, Naehen, Sticken, Brodiren, Knoepfeln, besonders Schneideriren, Faerben auf Seide, Wolle, Leinwand und in andern dergleichen Sachen zu geben. Man kann ihr einen Gehalt bis achtzig Rubel jaehrlich geben, nebst dem, dass sie alles so frey, wie die Gouvernantinn, auch ein Maedgen zur Aufwartung hat.
b) Wenn ein armes adeliches Fraeulein, auch wenn sie nicht Stifttochter ist, die Geschicklichkeit hat, dass sie die Unterweiserinn der Fraeulein in obenerwaehnten Arbeiten vollkommen seyn kann; so ist sie einer Buergerlichen vorzuziehen, weil dadurch Ein armes Fraeulein mehr Brod hat. Und eine solche ist voellig als eine Stiftstochter anzusehen und zu halten, auch zu bekoestigen und zu kleiden. Da sie aber bey Unterweisung der andern wenig Zeit sich etwas zu erwerben finden mag; so wird hier ein jaehrlicher Gehalt von dreissig Rubel gegeben, und sie steht in der Ordnung, unter den in Function stehenden Fraeulein, unter der Fraeulein Schatzmeisterinn. Sie wird es an ihrem Fleisse nicht ermangeln lassen, dass die Jugend in allem vollkommen unterrichtet werde, und dass alle es so weit bringen, dass sie das, was zu ihrer Bekleidung erfordert wird, selbst machen koennen, ausser was von Leder oder Metall ist. Die-

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ses kann so viel leichter geschehen, da der Schnitt immer einerley bleibet. Und da das Stift die Materie giebt; so koennen die Toechter wol zu der Form helfen, wenn sie die Fertigkeit dazu erlangt haben.
c) Auch wenn eine Stiftstochter zu diesem Amte kommt, erhaelt sie denselben Gehalt, und bleibt Stiftstochter. Da sie aber die Stelle einer Lehrmeisterin einnimmt, und das Brod, das fuer eine solche bestimmt war, isst; so wird eine Stiftstochterstelle mehr offen, die aus den in der Anwartschaft Stehenden zu besetzten ist.

§ 3. Von den Lehrern und dem Doctor des Stifts.
a) Kann man keine fertige Lehrmeisterin weiblichen Geschlechts im Zeichnen und der Musik bekommen; so muss dazu ein Lehrer gehalten werden, und, wo nicht auf bestaendig, doch auf einige Zeit, bis man dahin gelangt, geschickte Lehrerinnen aus der Mitte der Stiftstoechter gezogen zu haben. Ein solcher Lehrer bekommt zur Wohnung ein Zimmer in des Oeconomen Hause, und alles uebrige frey. Sein Gehalt ist aufs genaueste zu bedingen.
NB.Da man ohnmoeglich Jahrhunderte voraus genau bestimmen kann, was der Gehalt fuer die oder die Person seyn soll; so versteht sichs, dass hier die naechsten Seiten gemeynt sind. In der Zukunft muss es der weisen Einsicht der Herren Stiftvaeter ueberlassen werden, wie es alsdann einzurichten ist. Bringt es dem Stifte und dem Vaterlande Nutzen, dass zur Erziehung und Bildung der Jugend theure, aber geschickte Lehrerinnen und Lehrer gehalten werden; so halten sie solche. Wenn aber wenige oder gar keine solche Stiftsfraeulein sind; so bedarf man ihrer nicht, weil zu vermuthen ist, dass unter guter Aufsicht der Fraeulein Priorinn und der Herren Stiftsvaeter ihre selbst erzogenen Lehrerinnen fuer die Stiftstoechter Unterricht genug werden geben koennen.
b) Nachdem es noethig ist, laest man von Zeit zu Zeit einen Tanz- meister kommen, der im Stifte etliche Wochen Unterricht giebt, und bezahlt ihm, was gewoehnlich seyn wird. Er logirt alsdann in des Oekonom Hause.
c) Einem geschickten Artzte, der in der Naehe des Stifts oder in Wesenberg wohnet, giebt das Stift einen jaehrlichen Gehalt von hundert Rubel, wofuer er verbunden ist, im Stifte sowohl, als bey den Unterthanen des Stifts bey sich ereignenden Krankheiten seine Bemuehungen zu Heilung anzuwenden, ohne etwas fuer die Cur zu verlangen. Die Medicin wird vom Stifte bezahlt.
Es wuerde gut seyn, wenn ein Krankenhaus fuer die Unterthanen erbaut wuerde.

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Capitel VII.

Von Handwerkern und Bedienten des Stifts.

§ 1. Von den Handwerkern.
a) Wenn unter Finn kein eigener guter Maurer sich befindet; so wird fuer einen gewissen bedungenen jaehrlichen Lohn ein fremder Maurer ange- nommen, der nach Erforderniss ein- bis zweymahl im Jahre die saemmtlichen, zum Stifte gehoerigen Gebaeude, und deren Daecher genau visitirt, das schadhaft gewordene ausbessert, wenn Materialien noethig sind, es in Zeiten dem Oeconomen saget, auch den Herrn Curatoren, wenn sie gegenwaertig sind, genauen Bericht abstattet.
b) Der Wesenbergische Schornsteinfeger, welcher jaehrlich zweymahl alle Schornsteine des Stifts, und, wenn es noethig ist, den von der Kueche noch oefter fegen muss, hat bisher zwoelf  Rubel fuer seine Bemuehung bekommen. Sollten in der Folge mehrere Schornsteine gezogen werden; so sucht man zum moeglichsten Vortheil des Stifts weiter mit ihm zu accordiren. c) Es wird sehr nuetzlich werden, einen guten Erbjungen zum Schuster auslehren zu lassen, und wenn er sich einst verheirathet, koennte er irgendwo im Dorfe etabilirt werden, die Ausgaben an fremde Schuster zu ersparen.

§ 2. Folgende Bediente sind im Stifte noethig.
1) Ein Tafeldecker, der auch zum Anmelden und Einfuehren der Gaeste dient. Ist er verheirathet; so koennte die Frau Wirthinn seyn, wenn sie sich dazu schickt. Ist er ledigen Standes; so muss er von gesetztem reifen Alter seyn, damit er sich bey den uebrigen Bedienten in Respect erhalten koenne.
2) Eine Wirthinn, die, wenn kein Koch vorhanden ist, wegen Aufsicht in der Kueche und Abspeisung des Gesindes unentbehrlich wird. Diese beyde dependiren blos von der Fraeul. Priorinn und stehen am bessten auf Geldlohn.
3) Ein Kutscher. Dieser erhaelt alle drey Jahr eine Livree und einen aufs genaueste bedungenen Geldlohn. Er kann ein freyer Mensch, oder auch aus den Unterthanen des Guts seyn.
4) Ein Stallknecht, der nicht allein, wenn der Kutscher krank ist, kutschen kann, sondern auch in Abwesenheit der uebrigen den Stall besorgt.
5) Ein Vorreiter. Er bekommt Stiftslivree. Diese drey muessen die Pferde, Geschirr, Wagen und Schlitten besorgen, und selbige rein und ordentlich halten.

Statuten Finn 1784, S. 49

6) Ein Bedienter bey der Kutsche. Er bekommt Livree. Wenn sonst fuer ihn nichts zu thun ist, so ist er dem Gaertner zu Huelfe. Im Nothfall, da es beym Stall an gesunden Leuten fehlen wuerde, muss er da helfen.
7) Ein Gaertner. Wenn er ein freyer Mensch ist, so bekommt er eins fuer alles, einen mit ihm genau bedungenen Geldlohn. Wuerde man aber einen eigenen dazu abgerichteten Menschen bekommen koennen, so wuerden die Kosten geringer seyn.
8) Ein Nachtwaechter, der aus dem Dorfe genommen wird. Er muss des Nachts fleissig herum patrouilliren, und, dass er munter sey, marquiren. Er ist zugleich Ofenheizer.
9) Ein Postkerl, aus dem Gebieth. Er geht woechentlich zweymal nach der Post.
10) Auch koennen den Umstaenden nach noch andere Bediente angenommen werden; worunter ein Schmidt einer der noethigsten seyn moechte, fuer den man,  wenn er nichts zu schmieden hat, andere nuetzliche Beschaeftigung finden kann. Ueberhaupt stehen sie alle unter dem Befehle der Fraeul. Priorinn, und naechstdem hat der Oeconom des Stifts die Aufsicht ueber sie, damit ein jeder seine Schuldigkeit und, was ihm zukommt, thue; worueber er genau haelt. Auch kann er, mit Vorwissen der Fraeul. Priorinn, diejenigen, die nichts taugen, oder nicht zu bessern sind, abschaffen, und dagegen andere einsetzen.
11) An Maegden sind noethig: Zwey zur Bedienung der Fraeulein Priorinn; in jeder Zelle, wo zwo Fraeulein sind, ist eine. Zwo Kuechenmaegde. Diejenigen, welche fuer die Lehrmeisterinnen bestimmt sind. Zwo Vieh- und Milchmaegde. Alle diese erhalten Kost und Kleidung vom Stifte. Am besten ist es, sie von den Stiftsguetern zu nehmen. Die Freyen wollen vielen Lohn. Es wird dem Stifte angemessener seyn, dass sie in laendlicher Kleidung bleiben, auch egale Kopfbaender, und ausser einer Reihe Ketten, am Halse kein Silber haben. Kleidung nebst der Kost haben sie frey.
12) Was diejenigen Maegde betrifft, welche die Fraeulein Pensionairinnen etwa mit sich bringen, so ist von ihnen bereits oben Cap. V. im Abschnitte B. und dessen Punkte c) gehandelt worden.

Statuten Finn 1784, S. 50

Capitel VIII.

Von der Stiftsbibliothek.

a) Die Buecher in selbiger, welche jedesmal unter Aufsicht der Fraeulein Bibliothekairinn in einem verschlossenen Schranke, oder wenn es seyn kann, in einem besonderen Zimmer aufbewahret werden, sind blos solche, deren Inhalt dem Frauenzimmer nuetzlich werden kann. Sie bestehen daher aus Theologischen, Moralischen, Historischen, Geographischen und Oeconomischen Schriften; wohin auch gute und wahre Reisebeschreibungen (als etwa die Reisen um die Welt) und auch solche gerechnet werden, in welchen Unterricht im Backen, Kochen, Faerben, Wircken und dergleichen gegeben wird; kurz, die die Tugend reizen, den Verstand aufklaeren, und nuetzliche Kenntnisse verschaffen koennen. Dagegen sind alle ekelhafte Romane, Liebesgeschichte, das Herz verderbende und schaedliche, abgeschmackte Buecher auf immer aus der Bibliothek verbannt. Die Fraeulein Priorinn und die Fraeulein Bibliothekairinn haben genau dahin zu sehen, dass dergleichen Buecher weder im Stifte angeschafft, noch heimlich gelesen werden.
b) Jedes erwachsene Stiftsfraeulein hat die Freyheit, diejenigen Buecher sich auszubitten, welche sie zu lesen wuenscht; jedoch gegen einen ausgestellten Empfangschein, oder sie muss in das Buch, welches die Fraeulein Bibliothekairinn zu dem Ende halten wird, eigenhaendig einschreiben, dass sie an dem Dato das Buch empfangen habe. Diejenigen Buecher, welche von Unmuendigen und Kindern gelesen werden, sind von der Fraeulein Priorinn und der Gouvernantinn zu bestimmen.
c) Die aus der Bibliothek geliehenen Buecher, deren Werth im Catalogo angemerkt seyn muss, muessen rein und ordentlich wieder zurueck geliefert werden. Geschieht dieses nicht, so muessen diejenigen, welche ein Buch verderbt oder es von abhaenden haben kommen lassen, es bezahlen. Den Stiftstoechtern kann das Geld etwa von ihrem Nadelgelde abgezogen werden.
d) Vor das erste werden in der Bibliothek seyn: des sel. Prof. Gellert saemmtliche Werke; die Schriften der Madame Beaumont: die Hausmutter in allen ihren Verrichtungen; was Moritz ueber die Deutsche Sprache geschrieben hat.

Statuten Finn 1784, S. 51

Leidet es die Stiftscasse, dass neue Buecher verschrieden oder angeschafft werden koennen; so werden die Herren Curatores ueber deren Auswahl jedesmahl zu Rathe gezogen. Auch koennen die Stiftsbuecher in einem egalen, nicht theuren Band gebunden werden.

Schlusslehre.

Da sich vielleicht nicht alle einen deutlichen Begriff machen moechten, von der Absicht, wozu dieses Stift errichtet, und zu welchem Zweck diese oder jene Verordnung gemacht worden; so ist zu wissen, dass, wie schon in der Einleitung gesagt ist, solche arme adeliche Fraeulein, die kein Vermoegen anstaendig zu leben haben, in diesem Stifte ihr Auskommen finden werden. Und es wird, als eine gute, milde Mutter, einer jeden seiner Toechter geben, was sie nothwendig braucht. Es hat also keine ein Recht, etwas zu fordern, sondern als Kind es zu erbitten! Keine Kleine darf darauf stolz seyn, dass sie dem Stifte weniger Unkosten mache, als die Grosse. Wenn nur jede alles schonend behandelt, was sie erhaelt; so ist die Mutter mit jeder zufrieden. Daher wird auch keine mehr bejahrte Stiftstochter glauben, es sey unschicklich, dass sie die etwa juengere Fraeulein Priorinn um etwas bitten und ihr fuer das Erhaltene danken muesse. Sie bittet und danket den Stiftern, welche die Fraeulein Priorinn vorstellt! Es ist gar nicht zu vermuthen, dass irgend eine gegen selbige undankbar, oder ihren Vorschriften ungehorsam seyn wollte. Die Fraeulein Priorinn wird allemal, wenn sie von einer Stiftstochter um etwas angesprochen wird, sich erinnern, dass sie die Verweserinn der Stifter sey! Und mit muetterlicher Liebe und Guete wird sie sich gegen die Begehrende betragen, selbst dann, wenn sie ihr einen Verweis wegen schlechter Schonung geben muesste. Alle Ehrerbietung, die man ihr erzeigt, nimmt sie fuer die Stifter an. Kuesset ihr eine die Hand, so empfaengt sie es, als den Stiftern und nicht ihr gegeben. Und daher hat sie das Recht, alle vorgeschriebene Ehrerbietung zu fordern und anzunehmen.

Statuten Finn 1784, S. 52

Schlussverordnung.

Obenstehende Statuten, die nicht blos Gesetze, Verordnungen und Vorschriften, sondern auch Lebensregeln fuer diejenigen Personen sind, die in einem nicht geraeuschigen und thaetigen Leben, mit Genuegsamkeit und Dankbarkeit gegen Gott ein geruhiges und glueckliches Leben fuehren wollen, werden zur Erhaltung des Stifts, der guten Ordnung und des Wohlstands darinne, hinlaenglich und auf vielen Menschengeschlechter passend seyn. Jedennoch, da in dieser Welt alls immer veraenderlich gewesen, und wahrscheinlich auch kuenftig seyn moechte; so wird erlaubt, dass, wenn nach Ablauf vieler Zeiten die Herren Stiftsvaeter und Fraeulein Priorinn faenden, dass nothwendig zu diesen noch einige Verordnungen mehr zugesetzt, oder an diesen in unwesentlichen Stuecken etwas abgeaendert werden muesste, (in Haupt- und wesentlichen Stuecken muss niemals etwas veraendert werden!) so koennen sie den Herrn Ritterschafts hauptmann und ein Paar der weisesten Maenner des Landes zur gemeinschaftlichen Ausarbeitung des Noethigen erbitten; aber allein fuer sich koennen sie nichts thun. Und wenn nur nach diesen Statuten sich alle die, denen sie vorgeschrieben sind, zu leben bestreben; so ist zu hoffen, dass die allerhoechste Landesobrigkeit mit Gnade und Wohlgefallen auf das Stift und seine Bewohner herabsehen, und sie Ihres hohen Schutzes immer wuerdigen werde.

Obenstehende Statuten sind von der Stifterinn und Ihren hochobrigkeitlich constituirten Curatoren eigenhaendig unterschrieben.

So geschehen auf Finn im Jahre nach der Geburt Christi ein tausend sieben hundert und drey und achtzig, den 15ten August.

Jacoba Charlotta von Rennenkapff geb. Tiesenhausen.
Magnus von Tiesenhausen.
Carl Gustav Toll.

Statuten Finn 1784, S. 53

Register ueber den Inhalt der Capitel und Paragraphen.

Capitel I.
Von dem Oeconomen, seinen Eigenschaften und Pflichten§. 1. Wer zum Oeconomen zu erwaehlen und was er geniesst                       
§. 2. Von den Pflichten des Oeconomen                                                         
§. 3. Was zu beobachten, wenn der Oeconom abgehen will, krank wird, stirbt

Capitel II.
Von den Stiftstoechtern, deren Requisiten, Anzahl, Aufnahme,
Beschaeftigungen, Austritt                                                                                         
§. 1. Von den Requisiten einer Stiftstochter                                                     
§. 2. Von der Anzahl der Stiftstoechter                                                            
§. 3. Von der Aufnahme der Stiftstoechter                                                       
§. 4. Von dem, was eine Stiftstochter zu geniessen hat                                   
§. 5. Von dem, wozu die Fraeulein ueberhaupt und die Stiftstoechter
besonders anzufuehren, und zu unterweisen sind                                            
§. 6. Von den Andachtsuebungen im Stifte                                                      
§. 7. Von den bestimmten, taeglichen Beschaeftigungen                                 
§. 8. Von Vergnuegungen, Tanzen, Musik und dem Spiele                               
§. 9. Von Besuchen                                                                                        
§.10. Was bey vorfallenden Krankheiten zu beobachten                                  
§.11. Von den durch Alter schwach und entkraeftet gewordenen                    
§.12. Von der Kleidung und dem Anzuge einer Stiftstochter                            
§.13. Von Erwerbniss, Ersparniss und Testamenten                                         
§.14. Von dem Austritte einer Stiftstochter                                                       
§.15. Von Erhaltung guter Ordnung und den Strafen im Stifte                           
§.16. Von den Aemtern und Functionen der Stiftstoechter

Capitel III.
Von der Fraeulein Priorinn, ihren Requisiten, ihrer Wahl,
Pflichten und Vorrechten                                                                                   
§. 1. Von den Requisiten einer Fraeulein Priorinn                                           
§. 2. Was bey der Wahl so wol, als bis dahin zu beobachten                      
§. 3. Von dem Ansehen und den Vorrechten der Fraeulein Priorinn            
§. 4. Von den Pflichten und Verrichtungen der Fraeulein Priorinn                  
§. 5. Vom Gehalt und Wohnung der Fraeulein Priorinn                               
§. 6. Was bey Krankheit oder Abwesenheit der Fraeulein Priorinn zu
beobachten

Statuten Finn 1784, S. 54

§. 7. Von Abdankung, und was nach dem Tode der Fraeulein Priorinn
zu beobachten

Capiel IV.
Von den Herren Stiftsvaetern oder Curatoren                                                
§. 1. Von den Eigenschaften eines Stiftsvaters                                               
§. 2. Von der Wahl und Anzahl der Herren Stiftsvaeter                                 
§. 3. Ansehen und Vorrechte, Verrichtungen und Pflichten der
Herren Stiftsvaeter

Capitel V.
Von den Stiftsfraeulein und Pensionairinnen

Capitel VI.
Von den Lehrmeisterinnen, dem Lehrer und Arzte des Stifts           
§. 1. Von der Erzieherinn oder Gouvernantinn der jungen Fraeulein            
§. 2. Von der Unterweiserinn in Handarbeiten                                               
§. 3. Von den Lehrern und dem Doctor des Stifts

Capitel VII.
Von Handwerkern und Bedienten des Stifts                                                  
§. 1. Von den Handwerkern im Stifte                                                     
§. 2. Von den Bedienten im Stifte

Capitel VIII.
Von der Stiftsbibliothek                                                                         
Schlusslehre
Schlussverordnung

Druckfehler

Auf dem Titelblatt: der Name des Stifts heisst Johanndiedrichstein.
Am Ende in der Unterschrift, lies Rennenkampff. statt, Rennenkapff.

Die kleineren Druckfehler kann man uebergehen!